GASTKOMMENTARE: Ein Überzeugungstäter
■ Der Fall Dirk Schneider und die unbewältigte Vergangenheit der Grünen
Dirk Schneider, zur Zeit PDS-Abgeordneter, lange Jahre Bundestagsabgeordneter der AL-Berlin und ihr Pressesprecher im Abgeordnetenhaus, hat 14 Jahre für die Stasi gespitzelt und im Sinne seiner Arbeitgeber „Einfluß genommen“.
Als Gründungsmitglied der AL programmatisch eigentlich dazu verpflichtet, für Menschenrechte und Umweltschutz in Ost und West einzutreten, handelte er in der AL und bei den Grünen ganz öffentlich als kalter Krieger im Interesse der realsozialistischen Parteidiktatur. In seiner vorgestrigen „Erklärung“ spielt er noch immer die Rolle des biederen Idealisten, der lediglich für seine „Überzeugungen“ eingetreten sei und dabei keinem Menschen ein Leid angetan habe. Wie aber kann man freiwillig mit einem der schlimmsten staatlichen Terrorapparate im Nachkriegseuropa zusammenarbeiten, ohne für dessen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Mitverantwortung zu tragen?
Die Doppelzüngigkeit und Verlogenheit der Person Schneider ist aber nur die eine Seite der Medaille. Der eigentliche politische und moralische Skandal besteht darin, daß Leute wie Schneider bei den Grünen und insbesondere in der AL-Berlin einen Resonanzboden vorfanden, der es ihnen erlaubte, unverhüllt für ihre undemokratischen Ziele einzutreten und auch noch wichtige Parteifunktionen zu besetzen. Er und seine politischen Freunde/ innen traten ganz unverblümt als „ständige Vertreter der DDR“ auf. Kein AL-Mitglied und kein AL- Wähler kann behaupten, er habe ja nicht gewußt, für welche Ziele diese Nachlaßverwalter des Stalinismus eingetreten seien. In zahllosen Papieren, Artikeln, Presseerklärungen und Stellungnahmen haben Schneider und seine ideologischen Mitstreiter/innen erklärt, daß für sie die Verhältnisse in der DDR zwar nicht ideal, aber immerhin sozialistisch und damit allemal besser als im Westen seien. Ihre verabsolutierte Gegnerschaft gegenüber den bundesrepublikanischen Verhältnissen hat ihnen den Blick auf die realsozialistische Diktatur vollkommen getrübt. Viele in der AL haben diese ideologische Blindheit für sich zwar abgelehnt, übten sich zugleich aber in einer Art bequemer Toleranz gegenüber Intoleranten, verhielten sich also häufig so wie der Biedermann gegenüber dem Brandstifter.
Schneider und seine Freunde konnten jahrelang im Jargon der SED-Propaganda Solidaritätsaktionen wie z.B. die von Petra Kelly u.a. 1983 auf dem Alex zugunsten der DDR-Friedensbewegung als „schädlich“ diffamieren, die osteuropäischen Bürgerbewegungen als „reaktionär“, „antikommunistisch“, „rechts“ oder „CIA-gelenkt“ abtun, die Suche nach einer demokratischen Lösung der deutschen Frage als „nationalistisch“ oder „revanchistisch“ beschimpfen. Er und seine Freunde/innen betrieben regelrechte Desinformation, wenn es um die Darstellung der Ziele der DDR-Bürgerrechtsbewegung ging. Mit Stichworten wie „grüne Parteigründung“ lieferte er der Stasi (wie wir jetzt wissen, absichtsvoll) Zugriffsmöglichkeiten. Eine Dokumentation über Einreiseverbote wollten sie wieder „einstampfen“ lassen. Ehemalige DDR- Bürger, die in der AL mitarbeiten wollten, wurden durch das dort herrschende Klima regelrecht vertrieben oder, wenn es denn sein mußte, mit taktischen Tricks daran gehindert, auf Friedenskundgebungen vor dem Rathaus Schöneberg zu reden bzw. zu Abgeordnetenhauswahlen zu kandidieren.
Der Bau der Mauer wurde in Presseerklärungen von Schneider häufg als Beitrag zum Frieden charakterisiert. Am Brandenburger Tor schlug er vor, einen See anzulegen, um dort den Stadtrand-Charakter West-Berlins zu unterstreichen, und die bedingungslose Anerkennung der „Geraer Forderungen“ von Honecker war ihm stets wichtiger als das Selbstbestimmungsrecht der DDR-Deutschen.
Bis in die Personalpolitik der AL hinein ging es ihm darum, z.B. die SED bei Verhandlungen mit der AL vor „unzumutbaren“ AL-Teilnehmern zu „schützen“. Tatkräftige Schützenhilfe erhielt er dabei von etwas moderater auftretenden Friedensfreunden wie z.B. Hilde Schramm, die eifrig den Kontakt zu den SED-Oberen suchte und stets mit sensibler Passivität auf kommunistische Menschenrechtsverletzungen reagierte.
Sicher — die passive AL-Mehrheit teilte diese Positionen nicht. Aber innerparteilich verschoben sich unter dem Einfluß einer indoktrinären Dauerberieselung immer stärker die Gewichte in die von Schneider gewünschte Richtung. 1988 beschloß die AL die „Zweistaatlichkeit“ und Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft! Und zur Solidaritätsdemo für verhaftete DDR-Oppositionelle kamen gerade mal 100 ALer/innen... Blockübergreifende Zusammenarbeit mit der osteuropäischen Opposition hatte es schon davor kaum noch gegeben. Wer daran interessiert war, hatte sich aus der AL-Arbeit bereits zurückgezogen.
Das alles zeigt — mit der Enttarnung des Stasi- Spitzels Schneider ist es nicht getan. Die AL und die Grünen haben eine unbewältigte politische Vergangenheit, die es aufzuarbeiten gilt. Durch ihre jahrelange Ignoranz gegenüber den unterdrückerischen Verhältnissen in Osteuropa haben auch sie zur Stabilisierung der dortigen Verhältnisse beigetragen, obwohl sie programmatisch stets das Gegenteil formuliert hatten und einzelne Grüne wichtige Beiträge zur blockübergreifenden Zusammenarbeit von unten geleistet haben.
Durch eine ehrliche und offene Auseinandersetzung mit den schwerwiegenden Fehlern der Vergangenheit im Verhältnis zur DDR könnten die Grünen beispielhaft dazu beitragen, die unter dem Dach der Entspannungspolitik entstandene Verteidigung des Status quo auch auf Kosten der demokratischen Opposition in Osteuropa kritisch aufzuarbeiten und so gegenüber den Ostdeutschen auch ein Zeichen zu setzen. Denn nicht nur deren Anpassungsbereitschaft, sondern auch die von Eigeninteressen und Ideologien geleitete freiwillige Verabsolutierung der offiziösen Zusammenarbeit seitens großer Teile der westdeutschen Gesellschaft hat zur Stabilisierung der SED-Diktatur einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet, den es aufzuarbeiten gilt. Wolfgang Schenk
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