GASTKOMMENTAR: Kein Frieden für Jugoslawien?
■ Die kroatische Vergangenheit und serbische Unfähigkeit zur Demokratie
Jahrzehntelang wurde das ohnehin unausgereifte kroatische Nationalbewußtsein wegen der faschistischen Verbrechen im kroatischen Ustascha-Staat stigmatisiert. Die offizielle kommunistische — von serbischen Frustrationen und Traumata geprägte — Geschichtsschreibung trachtete mit der Verabsolutierung der Verbrechen der kroatischen Faschisten und mit weit überhöhten Opferzahlen danach, jedwede Herausbildung eines kroatischen Nationalbewußtseins zu unterdrücken. Auf der kroatischen Seite förderte dies die Verdrängung, aber auch eine kaum artikulierte Angst vor sich selbst. Es herrscht die Furcht davor, die Aggression militanter und faschistoider serbischer Gruppen könne die „Bestie im kroatischen Wesen“ wiedererwecken.
Diese tiefe Unsicherheit in der kroatischen Identität kann nur überwunden werden, wenn es gelingt, daß die kroatische Bevölkerung auf die Aggression serbischer Terroristen, die von der serbisch-kommunistischen Armeeführung instrumentalisiert werden, entschieden aber friedlich reagiert. Wenn man die Kroaten aus der Herzegowina sieht, wie sie sich dem Durchmarsch der Armee nach Kroatien gewaltlos widersetzen und wie sich Frauen aus dem als „Faschistenhochburg“ verschrieenen Dorf Listica mit der Parole „Wir wollen Frieden“ vor Panzer stellen, dann ist dies ein gutes Zeichen.
Erst wenn die gegenwärtige Offensive, die sich gegen die kroatische Selbstbestimmung und die Demokratisierung allgemein richtet, durchgestanden ist, wird vielleicht ein Prozeß der nationalen und demokratischen Selbstfindung in Jugoslawien beginnen können. Schaut man aber nach Belgrad, dann wird eine friedliche Lösung der Krise immer unwahrscheinlicher. Belgrad pflegt wieder seine eigene Wahrheit. Dort spricht man von „anderen“ — serbischen — Opfern und Toten. Selbst nachdem er sich in einer Pressekonferenz gerühmt hat, das Massaker an zwölf kroatischen Polizisten in Borovo Selo mit seinen Cetniki-Truppen begangen zu haben, ist Vojislav Seselj nicht verhaftet worden. In Belgrad ist es ein offenes Geheimnis, daß hinter Seselj die Geheimpolizei der Republik Serbien steht. So kann man sich leicht ausmalen, wer der Auftraggeber ist. Im serbischen Parlament wurde auch klipp und klar gesagt, worum es geht: mit allen Mitteln soll verhindert werden, daß der kroatische Politiker Stipe Mesic — einer der wenigen besonnenen Politiker in Jugoslawien — turnusmäßig am 15. Mai den Vorsitz im jugoslawischen Staatspräsidium übernimmt — aber gerade darin läge auch ein Stück Hoffnung. Dunja Melcic
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