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GASTKOMMENTARSträubendes Rechtsempfinden

■ Zum Urteil im „Mauerschützen“-Prozeß

Aus dem Munde eines Vorsitzenden Richters zu hören, daß „nicht alles Recht ist, was Gesetz ist“ — schon das läßt das Ergebnis des Mauerschützen-Prozesses als ungewöhnlich erscheinen. Ob das Urteil Bestand hat, wird letztendlich erst in Karlsruhe entschieden werden, zunächst vom Bundesgerichtshof, möglicherweise auch vom Bundesverfassungsgericht.

Gemäß Artikel 103 II des Grundgesetzes kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Das zur Zeit der Tat geltende Strafgesetzbuch der DDR bestimmte in seinem Paragraphen 258: „Eine Militärperson ist für eine Handlung, die sie in Ausführung des Befehls eines Vorgesetzten begeht, strafrechtlich nicht verantwortlich, es sei denn, die Ausführung des Befehls verstößt offensichtlich gegen die anerkannten Normen des Völkerrechts oder gegen Strafgesetze.“

Selbst wenn die beiden verurteilten Angeklagten bei ihren Schüssen auf Gueffroy aufgrund des — auch mit dem DDR-Grenzgesetz nicht zu vereinbarenden — Schießbefehls des Nationalen Verteidigungsrates der DDR vom 3.5. 1974 gehandelt haben sollten, bleibt die Frage, ob ihnen diese Rechtswidrigkeit ihres Handels „offensichtlich“ gewesen ist. Das Landgericht hat diese Frage augenscheinlich bejaht.

Noch 1987 wurde der ehemalige Staatsratsvorsitzende Honecker in Kenntnis des Schießbefehls von höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland per Handschlag und mit geschliffenem Zeremoniell empfangen. Sie alle kannten die Schießpraxis an der Berliner Mauer. Die Mauerschützen aber sollten Honecker den Gehorsam verweigern, während gleichzeitig jenseits der Grenze ihm Anerkennung zuteil wurde. Das Rechtsempfinden sträubt sich; der Rechtsstaat wird sich zu bewähren haben. Gerhard Strate

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