GASTKOMMENTAR: Kafka und die Airshow
■ Bei der ILA geht es ums Geschäft und um Unterhaltung
Die Sache wäre ja so einfach; jetzt fliegt Wright in Berlin«, schrieb Franz Kafka 1909, die erste Flugschau in der Stadt in den Blick nehmend. Einer der beiden Brüder Wright, der Pioniere des Motorflugs, war zu dieser ILA-Premiere angekündigt. Und Kafka fragte sich, durchaus fasziniert: »Was geschieht denn? Hier oben ist zwanzig Meter über der Erde ein Mensch in einem Holzgestell verfangen und wehrt sich gegen eine freiwillig übernommene unsichtbare Gefahr. Wir aber stehen unten ganz zurückgedrängt und wesenlos und sehen diesem Menschen zu.« Fünf Jahre später beginnt Kafka die Arbeiten an dem Roman Der Prozeß, der die Aussagen des letzten Satzes im Großen ausarbeitet. Was folgt aus der ILA 92 für uns Heutige? Die Funktionen, die die Airshows zu Großvaters Zeiten hatten, sind überholt. Die Möglichkeiten des Fliegens Massen leibhaftig vorzuführen, unter Risiken (Kafka: »Sein Apparat ist zerbrochen«), geriete im Zeitalter des Großtourismus und von Ramstein zum Aberwitz. In Hitlers tausendjährigem Reich durften beeindruckte ausländische Konstrukteure auf den Berliner Luftfahrtschauen jene Kriegsgeräte bestaunen, mit denen ihre Länder bald danach bombardiert wurden. Besonders die Liste der sowjetischen Gäste enthält heute weltweit bekannte Namen. Auf der Flugschau durfte gar mehr oder minder offen spioniert werden — auch das gehörte zur Demonstration der Errungenschaften der deutschen Luftfahrtindustrie. Schließlich hofften die stets unter Geldmangel leidenden Flugpioniere, durch die Vorführung ihrer Apparate Geldgeber zu finden.
Solche Aufgaben hat die ILA heute nicht mehr. Der Kalte Krieg ist zu Ende, es gibt keine nennenswerte militärische Gefahr in Zentraleuropa. Wir benötigen weder den Jäger 90 noch die Vorführung seines Holzmodells in Schönefeld. Die Spionage verfügt heute über feinere Mittel als Armbanduhr-Kameras, mit denen einst heimlich fotografiert wurde. Und die Fluggesellschaften treffen ihre Kaufentscheidungen längst nicht mehr nach dem Eindruck, den Flugvorführungen auf einer Messe hinterlassen. Für den weltweiten Waffenhandel sind der Aerosalon in Paris, das Flugmeeting im englischen Farnborough oder neuerdings die asiatische Airshow in Singapur viel wichtiger als die deutsche ILA.
Es wäre aber verfehlt, der kostspieligen Flugschau zu unterstellen, sie hätte keinerlei Funktion mehr. Der Ausstellungs-, Messe- und Kongreß GmbH geht es ums Geschäft. Das Publikum will unterhalten werden. Infotainment nennt man neuerdings im Fernsehen diese Verbindung zwischen Show und Information. Einzelne Aussteller, besonders aus Rußland, erhoffen Verkaufsanbahnungen zur Heilung ihrer Wirtschaftsnöte. Die Bundeswehr ist bestrebt, den nicht gerade militärfrommen Berlinern, intelligent verpackt, etwas mehr Aufgeschlossenheit für, wie man dort sagt, die Anliegen der Landesverteidigung beizubringen.
Den Rest beschreibt keiner besser als Kafka: »Wir haben eine Volksmenge wie noch nie, wie nicht einmal zur Zeit der großen Wettfahrten der Automobile... Alle Preise steigen ausgezeichnet; die Beförderungsmittel reichen nicht aus, um die Menge bis zum circuito aereo zu bringen; die Restaurationen auf dem Flugfeld können 2.000 Menschen vorzüglich bedienen, vor den vielen Tausenden müssen sie versagen, Militär wäre nötig, die Buffets zu schützen; auf den billigen Plätzen stehen 50.000 Menschen den ganzen Tag.« Ulrich Albrecht
Der Autor ist Friedensforscher und Professor für Politische Wissenschaft an der FU Berlin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen