GANGSTER-VERMÖGEN: KARLSRUHE LÄSST SICH AUF PSEUDOPRÄVENTION EIN : Enteignung auf Verdacht
Ist auf Karlsruhe noch Verlass? Vor zwei Jahren hat das Bundesverfassungsgericht die Vermögensstrafe beanstandet, denn es sei zu unbestimmt, einem Täter einfach das gesamte Vermögen wegzunehmen – er müsse seine Strafe dem Gesetz entnehmen und nicht dem Kontoauszug. Ein rechtsstaatlich strenges Urteil, das bei Polizei und Innenministern damals einiges Grummeln ausgelöst hat. Gestern nun das glatte Gegenteil. Das Gericht akzeptierte den „erweiterten Verfall“ von Gangster-Vermögen und hat keine Bedenken, dass hier Geld, Autos und Häuser enteignet werden, ohne dass sie einzeln identifizierten Straftaten als Ertrag zuzuordnen sind. Da der Gesetzgeber dies nicht als „Strafe“ bezeichnet habe, gelte auch die Unschuldsvermutung nicht. So einfach ist ein rechtsstaatlicher Standard ausgehebelt.
Über das dahinter liegende Kalkül lässt sich nur mutmaßen. Eine gewisse Unberechenbarkeit ist für das Verfassungsgericht sicher nicht schädlich. Mal wird die eine Seite bedient, mal die andere. Und im vorliegenden Fall folgt die Verteilung von Strenge und Nachsicht durchaus einer praktischen Logik. Die damals beanstandete Vermögensstrafe war nämlich faktisch irrelevant – sie wurde in zehn Jahren nur 15-mal verhängt. Die jetzt akzeptierten Verfalls-Vorschriften sind dagegen in den letzten Jahren der entscheidende Hebel zur Vermögensabschöpfung geworden. Unter dem Strich kann die Polizei mit dem Verfassungsgericht also durchaus zufrieden sein.
Verhängnisvoll wäre es aber, das gestrige Signal nach dem Motto „Prävention macht’s möglich“ zu verallgemeinern. Es darf nicht sein, dass Karlsruhe immer dann zahm wird, wenn der Gesetzgeber eine Maßnahme als Prävention ausgibt. Zwar spricht manches dafür, dem Staat weniger Fesseln anzulegen, wenn er Straftaten oder Katastrophen noch verhindern kann, als wenn es „nur“ um dessen nachträgliche Aufklärung und Bestrafung geht. Doch dann muss es sich eben wirklich um die Vermeidung von Verbrechen handeln und nicht – wie bei der Enteignung von Gangster-Vermögen – nur um Pseudoprävention. CHRISTIAN RATH