Fussballfans und die Polizei: Feindbild Bulle
Die Polizei vermeldet eine Massenschlägerei zwischen Anhängern aus Jena und Saarbrücken und sorgt damit für Empörung. Eine Prügelei hat es wohl nicht gegeben.
Geht es wieder los? Drehen sie wieder durch? Sind die Fans schon wieder außer Rand und Band? Der FC Carl Zeiss Jena hat am Montag verkündet, dass ein Zuschauer, der bei der 0:7-Heimniederlage des Drittligisten gegen den 1. FC Saarbrücken in den Innenraum des Stadions gestürmt ist, künftig nicht mehr reingelassen wird zu Spielen des FCCZ - Stadionverbot. Zehn bis 15 weitere derartige Sanktionen sollen verhängt werden, kündigte Holger Grümmer an, der Vizepräsident von Carl Zeiss Jena und Mitglied der Stadionverbotskommission des Klubs. Das Spiel gegen Saarbrücken, das am Mittwoch der vergangenen Wochen so viel Schlagzeilen machte, werden sie so schnell nicht vergessen in Jena. Das liegt an den Ereignissen nach dem Abpfiff. Von einer "Massenschlägerei" zwischen Fans der beiden Mannschaften berichteten die Medien. Die Aufregung war groß.
Besonders aufgeregt hat sich Jörg Rodenbüsch, der Leiter des Saarbrücker Fanprojekts. "Keine Massenschlägerei in Jena" hat er über eine Pressemitteilung geschrieben, die für arge Verwirrung in etlichen Redaktionsstuben gesorgt hat. Denn da hat man der Darstellung der Polizei vertraut. Die hat nach dem Spiel die Vorkommnisse so dargestellt, als hätten sich 70 Saarbrücker mit 80 Jenaern geprügelt. Rodenbüsch ist entsetzt. Er war Insasse des Saarbrücker Busses, der nach dem Spiel von Jena-Fans angegriffen worden ist. Etliche Steine flogen, eine Scheibe ging zu Bruch. Als Saarbrücker Fans aussteigen wollten, um auf die Angriffe zu reagieren, habe die Polizei Pfefferspray eingesetzt. "Keiner der Businsassen war in der Lage, andere Personen körperlich anzugehen. Sie litten unter Erstickungsangst, Atemnot und geblendeten Augen", so Rodenbüsch in seiner Pressemitteilung. Die Polizei möchte nicht auf Rodenbüschs Einlassungen reagieren. Sie bleibt bei ihrer Darstellung der Ereignisse. Das machte Steffi Kopp, Sprecherin der Polizeidirektion Jena, der taz gegenüber noch einmal deutlich und fügt an, dass die Fanbetreuer so etwas "immer herunterspielen". "Eine Schlägerei hat es doch gar nicht gegeben." Das meint auch ein anderer Augenzeuge. Matthias Stein ist Leiter des Fanprojekts Jena und bestätigt auf taz-Nachfrage die Version Rodenbüschs, wonach die Polizei durch den Reizgaseinsatz eine Auseinandersetzung verhindert habe. Keine Massenschlägerei also. Einzelne Auseinandersetzungen zwischen Jena-Fans und Saarbrückern, die mit dem Privat-Pkw angereist waren, mochten weder Rodenbüsch noch Stein ausschließen. Die Polizeidarstellung lautet indes: "Die Gästefans drängten massiv auf die Straße und es gelang ihnen, trotz Reizgaseinsatz durch die eingesetzten Kräfte, ihren Bus zu verlassen. Etwas 70 Gästefans lieferten sich mit den Jenaer Rivalen eine Schlägerei."
"Verantwortungslos" nennt Rodenbüsch diese Darstellung der Polizei, der es nicht gelungen sei, die zugesicherte gefahrlose Abreise der Fans aus Jena zu gewährleisten. Er weiß um das schwierige Verhältnis von Problem-Fans zur Polizei. Die ist für die gewaltaffine Anhängerschar längst das Feindbild Nummer eins. Der als Fanforscher bekannt gewordene Prof. Gunter A. Pilz vom Institut für Sportwissenschaft der Leibniz Universität Hannover befasst sich seit 1988 mit der wachsenden Distanz zwischen Anhängern und Polizei. Diese Distanz führe zu Feindbildern, so steht es in seiner Studie "Fankultur und Fanverhalten". Gerade in Konfliktsituationen könne es zu gefährlichen Eskalations- und Solidarisierungsprozessen kommen. Problematisch an diesen Feindbildern ist, dass sie Nährboden für Gewalt, politischen Extremismus und andere Konflikte bietet. Forderungen nach Beteiligung der Vereine an den Einsatzkosten der Polizei, die nach jeder Auseinandersetzung vor dem Stadion aufflammen, lehnt er ab. Er setzt sich für ein gezieltes Konfliktmanagement ein, das zum Abbau von Feindbildern beitragen könne und mit dem sich die Zahl der benötigten Polizeikräfte verringern ließe.
Die verdrehte Darstellung der Ereignisse von Jena wird nicht unbedingt dazu beitragen, das kaputte Verhältnis zwischen Fans und Polizei zu kitten. Rodenbüsch hat es in seiner Arbeit weiß Gott nicht mit den einfachsten Menschen zu tun. Er scheue sich nicht, sagt er, "den Jungs auch mal öffentlich kräftig auf die Finger zu hauen", wenn sie Mist gebaut haben. Aber diesmal hätten sie eben keinen Mist gebaut. Da habe es nur von einer Seite Angriffe gegeben. "Wer glaubt schon, dass das eine einseitige Sache ist", sagt er.
Er glaubt zu wissen, was auf die Saarbrücker Anhänger jetzt zukommt. Am Freitag steht das Punktspiel bei Dynamo Dresden an. "Da wird dann wieder kräftig kontrolliert und die Polizei wird sagen: Ich habt ja letzte Woche euren Spaß gehabt, diesmal wird das anders." Maßlos enttäuscht ist er in diesem Zusammenhang von René Treunert, dem Chef der Jenaer Polizei. Auf den wird er demnächst treffen, wenn in Jena die Jahrestagung der Fanprojekte in Deutschland stattfindet. Treunert ist als Redner geladen. Rodenbüsch hat sich schon vorgenommen, ihn auf die Ereignisse vom Mittwoch nächster Woche anzusprechen.
Derweil klopft man sich in Thüringen, was die Aufarbeitung der Ereignisse rund um das Saarbrücken-Spiel betrifft, kräftig selbst auf die Schulter. Verein, Fanprojekt, Polizei und Vertreter des Landesinnenministeriums haben nach einem gemeinsamen Treffen eine Pressemitteilung herausgegeben, in der es heißt: "Polizei und Verein bescheinigten sich gegenseitig, umsichtig und entschlossen gehandelt zu haben."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“