"Full Tilt Poker" geschlossen: Unter Bonushuren
Die Online-Poker-Website "Full Tilt Poker" wurde dichtgemacht, Poker-Stars sind schockiert und tausende Nutzer fürchten um ihr Geld. Nur wenige profitieren.
BERLIN taz | Pokern im Internet ist ein milliardenschweres Geschäft. Die beiden größten Plattformen, PokerStars und Full Tilt Poker, setzen jährlich rund fünf Milliarden Dollar um. Full Tilt Poker mit Sitz auf der britischen Kanalinsel Alderney wurde jetzt die Lizenz entzogen und die Website abgeschaltet - wegen mehrerer Verstöße gegen die Lizenbedingungen und vermutlich nur vorübergehend bis zur Anhörung am 26. Juli.
Die wahren Akteure dieses Wirtschaftskrimis bleiben jedoch im Hintergrund. Online-Glücksspiele sind in den USA seit 2006 durch den Unlawful Internet Gambling Enforcement Act verboten. Wer im Internet pokert, macht sich auch nach deutschem Recht strafbar. Der Glücksspielstaatsvertrag stellt sicher, dass nur der Staat mit der Zockerei Geld verdienen darf.
Die meisten Firmen, die Pokern über Websites und spezielle Software anbieten, operieren in einer rechtlichen Grauzone und in Ländern, die das populäre Kartenspiel nicht als Glücks-, sondern als Geschicklichkeitsspiel definieren - wie etwa die schwedische Firma Ongame Network. Der Marktführer Pokerstars residiert auf der Isle of Man und ist dort einer der größten Arbeitgeber. Online-Zocken ist in Großbritannien ohnehin legal. Alderney erhält jedoch nach Branchenschätzung nur rund 30.000 Pfund von Full Tilt.
Geld womöglich weg
Tausende deutscher Nutzer jammern jetzt in einschlägigen Foren, dass ihr Geld nach dem Abschalten von Full Tilt Poker vielleicht verloren sei. Das öffentliche Mitleid sollte sich jedoch in engen Grenzen halten: Wer sein echtes Geld einem dubiosen irischen Firmen-Konglomerat mit Sitz auf den Kanalinseln anvertraut, obwohl das ohnehin illegal ist, der fällt vermutlich auch auf Kettenbriefe oder auf Lotteriegewinne aus Nigeria in sechsstelliger Höhe herein, die in grottenschlechtem Deutsch per E-Mail angekündigt werden.
Dennoch spielen nach Angaben von Branchenportalen rund eine Viertelmillion Deutsche Poker im Internet - mit einem Kapital von durchschnittlich 500 Dollar pro Person.
Die Geschäftsidee des Onlinepokerns ist einfach: Im Gegensatz zum Live-Pokern fällt die psychologische Komponente weg, die Mitspieler zu beobachten und aus deren Mimik Rückschlüsse auf deren Karten zu ziehen. Im Chat kann man kein Pokerface machen. Durchschnittliche Spieler hoffen deshalb, schneller an das ganz große Geld kommen zu können und versuchen, sogar mit Hilfe von Computerprogrammen, eine Strategie zu entwickeln.
Zudem können gute Spieler an mehreren virtuellen Tischen gleichzeitig und rund um die Uhr spielen, was die Chance verbessert, viel Geld in kurzer Zeit abzuräumen. Die Portale bieten nicht nur Spiele um echtes Geld an, sondern auch ein ausgefeiltes Bonussystem, das die Nutzer animieren soll, in den hauseigenen Online-Shops einzukaufen oder oder an exklusiven Turnieren teilzunehmen. Gute Online-Spieler heißen im Szene-Jargon "Bonushuren".
Schwarzer Freitag
Chris "Jesus" Ferguson, ein promovierter Informatiker aus Los Angeles und Experte für künstliche Intelligenz, professioneller Pokerspieler und mittlerweile Multimillionär, hatte als einer der ersten erkannt, dass mit Pokern online viel Geld zu verdienen ist. Er gilt als der Macher der Software, die Full Tilt Poker seit 2004 einsetzt. Der Ruf der bekanntesten professionellen Pokerspieler aus den USA ist das Kapital der Online-Portale.
Phil Ivey, ein Poker-Profi aus Las Vegas, der schon mehrere Male ein Preisgeld von mehr als einer halben Million Dollar abräumte, hält fünf Prozent der Anteile an Full Tilt Poker. Die Poker-Profis, die ihr Geld in Online-Firmen steckten, hätten gewarnt sein können. Im April holte das FBI zu einem großen Schlag gegen das Glücksspiel im Internet aus und beschwerte den Zockern einen "Schwarzen Freitag".
Die Websites von PokerStars, Full Tilt und anderen Anbietern wurden gesperrt. Die Besucher sahen nur eine Mitteilung der Behörden, die Domain sei beschlagnahmt worden. Mehrere Mitarbeiter der Betreiberfirmen wurden festgenommen. Die Anklagepunkte lauten Geldwäsche, illegales Glücksspiel und Bankbetrug. Die betreffenden Poker-Websites gingen jedoch schnell wieder online - mit einer anderen Länderkennung. Spieler aus den USA mussten jedoch draußen bleiben; kleinere Portale wie Partypoker hatten nordamerikanische Nutzer ohnehin schon ausgesperrt.
Full Tilt Poker hat sich von dem Schlag der Behörden nie wirklich erholt. Die Konten wurden eingefroren, das deponierte Geld der US-Spieler wurde nicht ausbezahlt. Phil Ivey erklärte daher Ende Mai, sein "guter Ruf" sei in Gefahr, er werde gegen das Unternehmen klagen und seine Teilname am bedeutenden World Series of Poker Tournament stornieren. Er sei über die rechtliche Situation und die damit verbundenen Risiken nicht korrekt informiert worden. Die Klagesumme betrug stattliche 150 Millionen Dollar. Michele Clayborne, die PR-Chefin von Full Tilt Poker, beschimpfte Ivey in einer Presseerklärung daraufhin als "bigott".
Rake-Free-Accounts
Nachdem auch die britische Version von Full Tilt Poker gesperrt wurde, wussten Insider plötzlich, dass die irische Firmengruppe auch Probleme mit ihrem größten Finanzdienstleister gehabt hatte. Das Poker-Portal hatte die Auszahlung der Gelder per Moneybrokers blockiert. Die Firma hat rund 18 Millionen Kunden und verlor durch die Streit mit dem Großkunden Full Tilt Poker eine stattliche Summe.
Der Hintergrund ist, dass das Poker-Portal Spieler nicht mehr auszahlen konnte und wollte und versuchte, das fehlende Geld über den Markt hereinzubekommen. Außerdem wurde gemunkelt, Angestellte von Full Tilt Poker hätten illegal so genannte Rake-Free-Accounts verkauft. Das sind Accounts für Spieler, die ihre Gebühr komplett erstattet bekommen. Bei Profi-Spielern sind das mehrere zehntausend Dollar im Monat.
Ende Juni bekam das Gezerre um Full Tilt Poker eine ganz neue Dimension. Phil Ivey hatte sich mit den Firmeneignern in Irland getroffen. Sein Anwalt erklärte, der Poker-Profi werde seine Anklage zurückziehen; es sei sicher, dass die aussehenden Gelder an die US-amerikanischen Spieler zurückgezahlt würden.
Der Grund dafür wurde erst am Samstag bekannt: Full Tilt Poker gab bekannt, man habe mit einer europäischen Investorengruppe vereinbart, dass die Muttergesellschaft Pocket Kings in Irland übernommen werde, Geld sei jetzt in ausreichender Menge vorhanden. Die Los Angeles Times suggeriert, vermutlich werde das Poker-Unternehmen einen Vergleich mit den US-Behörden aushandeln können. Full Till Poker wird also bald wieder online gehen. Wäre das nicht sicher, hätten die neuen Besitzer wohl kaum investiert.
Mittlerweile haben mehrere Spieler aus den USA eine Klage gegen den Online-Pokerraum eingereicht, aber nicht nur gegen die Firma, sondern gegen die professionellen Spieler, die sich daran beteiligt hatten, unter anderem gegen Howard Lederer, Phil Ivey und gegen die berühmteste weibliche Poker-Spielerin, Jennifer Harman.
Wer die wahren Motive der "Spieler" bei der Aktion gegen Full Tilt Poker verstehen will, muss nur nachsehen, welche Lobby-Gruppen in den USA maßgeblich ein Interesse daran hatten, Glückspiele und insbesondere Pokern im Internet verbieten zu lassen und den Behörden mundgerechte Textvorlagen für den Unlawful Internet Gambling Enforcement Act lieferten - zum Beispiel die Hotelkette Caesars Entertainment Corporation, der weltgrößte Casino-Besitzer (früher Harrahs) aus Las Vegas.
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