: „Für manche bin ich ein Weichei“
TRANSSEXUALITÄT Soll ein Mann im Büro abwaschen? Wie oft darf er lächeln? Nach seiner Geschlechtsumwandlung muss der Transmann Christian Schenk seine Rolle neu finden
■ Christian, 57, bis 2006 Christina Schenk, ist Physiker, Sozialwissenschaftler und Politiker (parteilos). Seit Mitte der Achtzigerjahre engagierte sich Christina Schenk in der Lesbenbewegung der DDR, 1989 war Schenk Mitgründerin des Unabhängigen Frauenverbandes und später frauen- und geschlechterpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktionen Bündnis 90/Die Grünen (bis 1994) und der PDS (bis 2002).
■ 2004 outete sich Christian Schenk als Transmann.
■ Heute ist er publizistisch tätig und arbeitet als Organisationsberater für Diversity Management. Er ist Lobbyist für die Reformierung des Transsexuellengesetzes.
■ Er ist mit einer Juristin verheiratet und lebt in Berlin.
Seit ich als Mann zu erkennen bin, habe ich mehr Platz auf der Straße. Jugendliche Macker weichen mir aus. Früher, als ich noch als Frau wahrgenommen wurde, wären sie nur selten zur Seite gegangen. Oder der Heizungsmonteur in meinem Haus, dem ich den Schlüssel zum Keller gegeben habe: Er weiht mich in fast jedes Detail der Heizungsanlage ein, obwohl ich ihn gar nicht darum gebeten hatte. Und wenn ich im Taxi sitze, erklärt mir so mancher Fahrer haarklein, wenn wir an einer Baustelle vorbeikommen, was an der Straße da genau wird. Es ist schon verblüffend, mit welcher Selbstverständlichkeit mir bestimmte Interessen und das Wissen dazu unterstellt werden, nur weil ich jetzt als Mann erkennbar bin.
Wie stark sowohl Frauen als auch Männer geschlechtstypisierenden Erwartungen an Verhalten, Habitus und Ausdrucksweise ausgesetzt sind, bekommt kaum jemand so bewusst mit wie Transmenschen. Transmänner sind nicht als Männer sozialisiert, sie können daher auch eher eine eigene, authentische Selbstrepräsentation entwickeln.
Wenn ein Transmann nicht auffallen möchte, dann stellen sich während der Transition Fragen: Wie funktioniert Körpersprache unter Männern? Wie oft darf man lächeln, ohne dass andere irritiert sind? Koche ich als Mann im Büro Kaffee und räume ich den Geschirrspüler aus? Wie cool muss ich sein, um als Mann ernst genommen zu werden?
Mit bestimmten Formen von Männlichkeit kann ich nichts anfangen: Wenn Männer Frauen abwerten, wenn sie sich in einem egoistischen Konkurrenzdenken bewegen, wenn sie sich überbordend selbst darstellen und es ihnen an Empathie mangelt.
Mich ärgert es gewaltig, wenn meiner Frau nicht der gleiche Respekt entgegengebracht wird wie mir. Einmal waren meine Frau und ich mit dem Wohnmobil unterwegs, wir kamen spät abends auf einem Zeltplatz an und stellten uns neben ein anderes Fahrzeug. Dem Besitzer war das zu dicht und er fing er an, meine Frau zu beschimpfen. Mich hatte er nicht gesehen, und als ich um die Ecke bog, wurde er schlagartig freundlich.
Ich finde es anstrengend und albern zugleich, ständig den Eindruck von Souveränität und Stärke vermitteln zu sollen. Einkaufen zum Beispiel: Wer schleppt die Wasserkisten? Meine Frau ist dazu genauso in der Lage wie ich. Aber mir wäre das unangenehm, weil ich befürchte, dass andere denken: Was ist das denn für ein Arsch! Mir geht es ja instinktiv auch oft so, wenn ich Paare im Baumarkt sehe. Da müht sie sich mit schweren Paketen ab und er steht daneben. Aber er muss gar kein Macho sein, vielleicht hat er ja einen Wirbelsäulenschaden.
Manche, die mich als Feministin kennen, fragen sich nun, ob ich jetzt Feminist bin. Also bitte! Testosteron verändert den Hormonhaushalt und nicht den Hirninhalt. Für manche „Altfeministinnen“ gehöre ich jetzt allerdings zum feindlichen Lager. Das ist nicht wirklich lustig, zumal ich mich ja sehr für Geschlechtergerechtigkeit eingesetzt habe und das immer noch tue. Andere Frauen scannen mich in geschlechterpolitischen Diskussionen ganz genau: Welche Position vertritt der jetzt? Das ist mir als vermeintliche Frau auf solchen Veranstaltungen nie passiert. Dass ich mich jetzt in solchen Situationen immer erst als kompetent „ausweisen“ muss, ist für mich neu und nur manchmal amüsant.
Umgekehrt halten mich manche Männer für ein „Weichei“, weil ich mich mit „Weiberkram“ beschäftige und für Geschlechtergleichstellung eintrete. Andererseits begegnen mir viel mehr Männer, die für diese Themen offen sind, als ich erwartet hatte. Wenn ich mit Männern über Geschlechterfragen diskutiere, ist das für mich jetzt „als Mann“ leichter, weil ich einen Zugang zu den Männern habe, der Frauen in der Regel versagt bleibt. Als man mich noch für eine Frau hielt, war es deutlich schwieriger.
Heute bin ich – aus praktischen Gründen – verheiratet. Aber meine Frau und ich führen keine klassische Ehe, bei uns gibt es keine Männer- und Frauenaufgaben, jeder macht das, was gerade anfällt und was einem liegt. Der Abwasch bleibt nicht stehen und auch die Nägel kommen sicher in die Wand. Auch dass wir unseren eigenen Familiennamen behalten, war für uns selbstverständlich. Dass ich in der Steuererklärung als „der Steuerpflichtige“ bezeichnet werde und meine Frau lediglich als „die Ehefrau“, ist mir dagegen äußerst unangenehm. Dass die Alleinverdienerehe als normal vorausgesetzt wird, ist angesichts der Vielfalt an Beziehungsformen eine Unverschämtheit.
PROTOKOLL: SIMONE SCHMOLLACK