■ Für einen umfassenden Weltfrieden:: Die Bahai-Religion
betr.: „Die Gewalt der Religionen“, taz vom 22. 4. 02
Die Schaffung eines umfassenden Weltfriedens ist eine der zentralen Visionen der vor fast 160 Jahren in Persien entstandenen Bahai-Religion; dieses Glaubensbekenntnis, zu dem sich weltweit in über 180 Ländern gut sechs Millionen Menschen bekennen, wird bei vergleichenden Studien der großen Weltreligionen im Allgemeinen und der monotheistisch-abrahamitischen Religionen im Besonderen bis heute zumeist übersehen.
Dabei ist die zentrale Botschaft der Bahai heute von besonderer Aktualität: der Religionsstifter Baha Ullah forderte bereits vor gut 130 Jahren die Entstehung eines Bewusstseins von der Einheit aller Menschen, als Voraussetzung hierfür nannte er die Schaffung eines umfassenden Weltfriedens. Krieg als Mittel der Auseinandersetzung hat Baha Ullah mehrfach ausdrücklich verboten, religiöse Motivation für Aggression und Krieg verurteilte er mit unmissverständlichen Worten: „Wir haben angeordnet, dass auf dem Pfade Gottes der Krieg mit den Heeren der Weisheit und des Wortes geführt werden soll, mit den Waffen eines guten Charakters und lobenswerter Taten. So wurde es von Ihm, dem Allmächtigen, dem Allmachtvollen, bestimmt. Es gibt keinen Ruhm für denjenigen, der Unordnung auf der Erde schafft, nachdem diese so wohl geordnet wurde. (…)“
Nach dem Tode Baha Ullahs im Jahre 1892 im seinem Exil im Heiligen Land hat sein Sohn Abdul Baha in zahlreichen Briefen an Menschen aller Glaubensbekenntnisse, in Tischreden und besonders auf seinen Reisen durch Europa und Nordamerika in den Jahren 1911 bis 1913 das Friedenskonzept der Bahai erläutert und anschaulich beschrieben. Die Ursachen des Krieges sind demnach in einem jedes vernünftige Maß sprengenden, wie ein Krebsgeschwür wuchernden Materialismus, in Nationalismus, Rassismus und religiösem Fanatismus zu sehen. […]
Das von Abdul Baha verkündete Bahai-Friedenskonzept beruht auf verschiedenen Ebenen: Zunächst ist der Mensch als Individuum verpflichtet, an der eigenen Friedensfähigkeit zu arbeiten. Jeder ist aufgerufen, die Vielfalt der menschlichen Lebensformen auf unserer Erde nicht nur zu akzeptieren, sondern aufrichtig zu bejahen und die Einheit der Menschheit aktiv mitzugestalten. Die Basis hierfür ist die Liebe, welche Abdul Baha wie folgt beschreibt: „Die Liebe ist der eigentliche Kern des Friedens, der Friede ist ein Ergebnis der Liebe. Solange es die Liebe nicht gibt, wird kein Friede sein; aber es gibt einen so genannten Frieden ohne Liebe. Die Liebe, die von Gott kommt, ist die Grundlage. Auf diese Liebe zielt alles menschliche Handeln; sie ist die Ausstrahlung des Himmels, das Licht des Menschen.“
Gleichzeitig müssen die Menschen zu der Erkenntnis kommen, dass alle großen Religionen ihren Ursprung in dem einen Gott haben, dass die in den verschiedenen Religionen liegende Wahrheit unteilbar ist. Alle Menschen sind verpflichtet, auch den anderen Glauben ihres Nachbarn als Gottes Botschaft anzuerkennen, religiöser Streit stellt somit einen schweren Verstoß gegen die Religion selber dar. Der eigentliche Zweck einer jeden Religion ist Frieden, pervertiert wurde dieses Ziel jedoch im Laufe der Geschichte durch die geistlichen Führer der verschiedenen Bekenntnisse, durch weltliche Herrscher und ihre religiös verbrämten Machtansprüche, aber auch durch Schwäche und niedere Motive der Gläubigen allgemein. Abdul Baha sagt: „Alles Trennende, das wir auf allen Seiten sehen, all dieses Streiten und diese Gegensätze rühren daher, dass sich die Menschen an kirchliche und äußerliche Bräuche hängen und die einfache Wahrheit, die ihr Untergrund ist, vergessen. Es ist die ‚äußerliche Ausübung der Religion‘, die so verschieden ist, und sie ist es, die Streitigkeiten und Feindschaft wachruft, während die Wirklichkeit stets eine und die gleiche ist. (…) Die Religion sollte alle Herzen vereinen und Krieg und Streitigkeiten auf der Erde vergehen lassen, Geistigkeit hervorrufen und jedem Herzen Licht und Leben bringen. Wenn die Religion zur Ursache von Abneigung, Hass und Spaltung wird, so wäre es besser, ohne sie zu sein, und sich von einer solchen Religion zurückzuziehen, wäre ein wahrhaft religiöser Schritt. Denn es ist klar, dass der Zweck des Heilmittels die Heilung ist, wenn aber das Heilmittel die Beschwerden nur verschlimmert, so sollte man es lieber lassen. Jede Religion, die nicht zu Liebe und Einigkeit führt, ist keine Religion.“
Nur die Kombination der beharrlichen Entwicklung individueller Friedensfähigkeit und der Schaffung eines dauerhaften Friedens zwischen den Religionen wird schließlich den Frieden der ganzen Menschheit auf unserer Erde zum Durchbruch verhelfen können. Die Bahai versuchen seit mehr als einem Jahrhundert mit einigem Erfolg dieses Friedensmodell nach den von ihrem Religionsstifter Baha Ullah gegebenen Geboten vorzuleben. Diese Gebote fordern u. a., dass Religionen der Vernunft und wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht widersprechen dürfen; sie verbieten alle religiösen, rassischen und nationalen Vorurteile; sie fordern die völlige Gleichberechtigung der Geschlechter und empfehlen die Einführung einer Welthilfssprache, die an allen Schulen auf der ganzen Welt gelehrt werden muss sowie die Errichtung eines internationalen Gerichtshofes, der alle Streitfälle zwischen den Staaten bindend entscheidet. In der Bahai-Religion selber ist der Stand der Geistlichkeit nach den bitteren Erfahrungen in allen Religionen der Vergangenheit abgeschafft und unwiderruflich verboten worden, die Selbstorganisation der Bahai funktioniert nach einem von Baha Ullah selber eingeführten und auf der ganzen Welt gültigen demokratischen Räteprinzip. In die blutigen Auseinandersetzungen zwischen den monotheistischen Weltreligionen im Heiligen Land sind die Bahai als einzige nicht involviert, gleichzeitig können ihre sehr konkreten Vorstellungen von der Schaffung des Weltfriedens und der Förderung eines Bewusstseins von der Einheit aller Menschen vielleicht ein Modell für die so erbittert miteinander streitenden und in jahrtausendealter Feindschaft erstarrten monotheistischen Schwesterreligionen sein. GUIDO ELBERFELD
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