: Für diese wunderbare Frau
Der Schriftsteller Joseph von Westphalen hat einen Roman auf eine Zigarettenschachtel geschrieben. Aber die Widmung vergessen. Nun widmet er ihn nachträglich der Schauspielerin Sibel Kekilli
VON JOSEPH VON WESTPHALEN
NACHTRÄGLICHE WIDMUNG,
Sibel Kekilli zugedacht.
Und zwar deswegen: An einem Vormittag im Spätherbst letzten Jahres hatte ich einen Roman zu schreiben, der so kurz sein sollte, dass er auf eine Zigarettenhülle passt. Ich weiß nicht mehr, warum ich die hübsche Heldin der Geschichte am Schluss eine Türkin sein ließ, warum geheiratet werden muss, warum die Türkin tanzt und warum ihr Nabel eine Rolle spielt und dem Miniaturroman den Titel gibt. Es fiel mir so ein. Nun läuft ein Film, in dem viele Zigaretten geraucht werden, in dem eine hübsche Türkin heiratet und tanzt – und auch ihr Nabel spielt eine Rolle. Ich mag Widmungen in Büchern nicht und habe sie bisher vermieden. Am kindischsten, die Huldigungen an die eigenen Eltern, am beflissen wiedergutmachendsten die an die treu sorgende Ehefrau. Am feigsten und miefigsten sind die blanken Initialen. Am schmierigsten die Widmungen an Berühmtheiten. Sibel Kekilli ist eine Berühmtheit geworden, und doch kann ich nicht anders, als meinen kleinen, unbedeutenden Roman wenigstens an dieser Stelle dieser wunderbaren Frau zu widmen. Es ist die proportional längste Widmung der Welt.
Gerechterweise müsste auch ihr nicht weniger großartiger Film-Mann Birol Ünel bedacht werden, aber dazu bin ich zu eifersüchtig. Aus Fatih Akins gepriesenem Film kommend, wie tausende von anderen Männern über beide Ohren verliebt in den Mut und das Lächeln der hinreißenden Hauptdarstellerin, verneige ich mich in hemmungsloser Begeisterung und bedanke mich über den Film hinaus, dass sie der Heldin meines kleinen, lächerlich undramatischen, bedeutungslosen und dahinfantasierten Romans Gestalt und ein Gesicht verliehen hat. Ich hoffe, sie hat nichts dagegen, wenn ich als dessen Autor verklärt ausrufe: So, genau so möge man sich meine Türkin vorstellen! Der Zwang zur Kürze ließ mich die Reize meiner Figur nicht ausreichend beschreiben. Ich habe mich auf die grünen Augen beschränkt – und mich prompt in der Farbe getäuscht. Ich werde eine Fortsetzung schreiben. Schließlich muss sich der Chef und Ehemann meiner Türkin noch bewähren. Die Fortsetzung sollte weniger harmlos sein, wirklich auf Sibel Kekilli zugeschnitten und hart an der Wirklichkeit.
So könnte es weitergehen: Die Bild bringt einen Bericht über das Vorleben meiner schönen Sekretärin, was den Ehemann, der diese Frau liebt, natürlich nicht erschüttern kann, sondern nur amüsiert. Dennoch kann man sich von einer Dreckszeitung so etwas nicht bieten lassen. Deswegen wird mein Ehemann den Chefredakteur ermorden. Das Schwein muss sterben. So viel Ehre muss sein. Wie meine Türkin nach der Entlassung ihres Mannes aus der Haft reagieren wird, das weiß ich noch nicht. Das kann mir vielleicht Sibel Kekilli verraten.
DER NABEL DER WELT Ein Zigarettenroman
Als der Chef seine schöne Sekretärin abends um elf nach einem langen Arbeitstag im Büro fragte, ob er ihr die restlichen Briefe nicht morgen, am Samstagvormittag, bei sich zu Hause diktieren und sie danach zum Essen einladen dürfe, entgegnete sie: „Etwas durchsichtig Ihr Angebot, finden Sie nicht, mein Herr?“ Der Chef kratzte sich am Kopf. Noch war nichts verloren. Immerhin hatte sie nicht „schleimig“ gesagt.
Es fiel ihm ein, dass von allen Seiten unentwegt mehr Transparenz gefordert wurde, und er sagte: „Was heißt durchsichtig, Madame, mein Herz ist keine Klarsichtfolie, meine Bitte ist transparent, mehr nicht.“ Da konnte sie nicht nein sagen. Am andern Tag in seiner Villa gab sich der Chef förmlich und verschlossen, vorsichtshalber.
Während ihre feinen Finger tippten, musterte sie seine zugeknöpfte Anzugweste und sagte: „Wenn schon Fassade, dann bitte etwas transparenter!“ Nach getaner Arbeit fuhren sie ins Grüne und speisten sittlich in einem Gasthof. Nach dem Essen leuchtete die Sekretärin mehr denn je.
„Ihre Augen …“, sagte der Chef und suchte nach Worten.
Die schöne Sekretärin wusste, dass jetzt etwas von einem klaren, grünen Gebirgssee kommen würde, und kam ihm zuvor: „Mein Blick ist transparent, mehr nicht.“
Sie lachten, und acht Wochen später war die Hochzeit. Das Wesen der Liebe sei die Transparenz, hieß es in der Festrede: Durchblick, aber nicht glasklar poliert, das blende nur, sondern eine Spur verschleiert, der Ahnung eine Chance lassend. Das ist wie bei meinen Bilanzen, dachte der Chef.
Da sprang seine Sekretärin, die jetzt seine Frau war, auf den Tisch. Ihr Chef, der jetzt ihr Mann war, machte große Augen. Sie aber tanzte und lachte und sagte: „Hast du vergessen, dass ich eine Türkin bin!“ Er hatte es vergessen. Es war ihm egal.
„Du hast den schönsten Nabel der Welt“, sagte er. Später flüstere er ihr ins Ohr: „Ich werde dein Sultan sein und für Zucht und Ordnung sorgen. Du wirst beim Diktat einen Schleier tragen.“
Süß senkte sie ihren Blick. „Ja, Herr“, hauchte sie und biss ihn fester als erwartet in seine Schulter.