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■ Für Schröder liegt der Mehrwert bei einer Großen KoalitionModern oder sozialdemokratisch?

Ein weiteres Mal erweist sich Gerhard Schröder als der Furor oeconomicus der SPD, als Politiker, dem die Parteiprogrammatik nicht Antrieb, sondern Fessel ist, die zu zerschneiden ihm in dem Maße Lust bereitet, wie seine Kontrahenten erwartungsgemäß aufheulen. Schon einmal hat er die SPD so in die Krise getrieben und dabei sich selbst ins Aus katapultiert. Lafontaine hat ihn zurückgeholt und damit die Kontroverse Schröder–Scharping um die Frage der modernen oder sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik zu dessen Gunsten entschieden. Mittlerweile hat sich die Fragestellung präzisiert, und die neue Konfliktkonstellation lautet womöglich Schröder–Lafontaine.

Moderne Wirtschaftspolitik, so läßt sich Schröder aktualisieren, bedeutet Erhöhung der Mehrwertsteuer und tiefe Einschnitte in den Sozialstaat. Sozialdemokratische Wirtschaftspolitik, so läßt sich daraus schließen, bedeutet Sicherung des Sozialstaates und ökologische Steuerreform – nimmt man sie bei ihren Worten, steht für ersteres Rudolf Dreßler und für letzteres Oskar Lafontaine. Die schweigen zu Schröder, wie auch der Rest der Führungsspitze sich lieber bedeckt hält. Das kann man wohlwollend als neuen Umgangsstil interpretieren, treffender jedoch als Ausdruck eigener Verunsicherung. Schröder ist nämlich nicht „eine interessante Einzelmeinung“, wie man in der Fraktion glauben machen will, sondern repräsentiert die von ihm so titulierte „Große Koalition der Regierenden“, der eine Große Regierungskoalition folgen soll.

Wie groß die Zustimmung in der SPD für diese strategische Option ist, wird man an der Steuerdebatte ausmachen können. Die Chancen einer ökologischen Steuerreform sinken in dem Maße, wie sie auch in den sozialdemokratischen Reihen mehr als Produktionshemmnis denn als Steuerungsinstrument begriffen wird. Auf dieser Klaviatur spielt der SPD- Wirtschaftssprecher. Lafontaine hält zwar verbal noch an dem Vorhaben fest, doch ist er weit davon entfernt, eine Umsetzung offensiv zu betreiben. Er geht einer Auseinandersetzung mit Schröder lieber aus dem Weg. Bleibt es dabei, schwindet das zentrale innenpolitische Projekt einer möglichen rot-grünen Regierung. Die Grünen können sich dann allenfalls damit trösten, nicht nur die besseren Liberalen, sondern auch die besseren Sozialdemokraten zu sein. Ein zugegebenermaßen schwacher Trost. Dieter Rulff

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