: Für Entmilitarisierung, Volksabstimmung und demokratische Verfassungsdiskussion!
■ Vorschläge für eine demokratische und friedliche Alternative zu DDR-Anschluß und NATO-Ausdehnung / Auf Minimalerfordernisse für den demokratischen, sozialen und friedlichen Charakter des neuen Staates ist zu bestehen / Vereinigungsschritt ist Katalysator bei dfer Überwindung der europäischen Blockstrukturen
Sechs Politikwissenschaftler beziehungsweise wissenschaftliche Mitarbeiter der Humboldt-Universität haben diese Vorschläge ausgearbeitet. Nach einer ersten öffentlichen Diskussion darüber am 14. 03. 90 im Reichstag streben die Unterzeichner an, gemeinsam mit anderen, in ähnliche Richtung zielenden Initiativen zu einer breiten, demokratischen Auseinandersetzung über den Weg zu einer gesamtdeutschen Verfassung zu gelangen.
In Erwägung, daß den Bürgern der DDR und der BRD, sofern sie einen gemeinsamen Staat bilden wollen, die Möglichkeit dazu weder verweigert werden kann noch sollte, ist es Aufgabe demokratischer Kräfte, diesen Prozeß mitzugestalten und dabei entgegen derzeit propagierten Vereinnahmungsstrategien auf Minimalerfordernissen für den demokratischen, sozialen und friedlichen Charakter des neuen Staates zu bestehen.
In Erwägung, daß der deutsche Vereinigungsschritt, historisch durch die Umgestaltung in der Sowjetunion eingeleitet und durch den „Herbst 89“ in der DDR ermöglicht, Katalysator bei der Überwindung der europäischen Blockstrukturen ist, entscheidet seine Art und Weise über die Varianten und den demokratischen Charakter der Vereinigung Europas. Die Verantwortung der demokratischen Kräfte in Deutschland für diesen Prozeß resultiert also nicht nur aus der Geschichte.
Wir schlagen daher folgende Schritte vor:
1. Nach Konsultationen mit den Nachbarn der DDR und der BRD im Rahmen der KSZE und unter der Voraussetzung, daß das Interesse an einem vereinigten Deutschland grundsätzlich nur bei Förderung der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen der Nachbarländer realisiert werden kann, führen die für Deutschland als Ganzes zuständigen Vier Mächte eine Abstimmung der Bürger der DDR und der BRD über die Vereinigung beider Staaten zu einer Republik Deutschland durch. Dabei müssen Mehrheiten in der BRD und der DDR für die Vereinigung stimmen, die nur unter folgenden Vorgaben stattfinden kann:
a) Die Republik Deutschland erkennt verfassungsmäßig die bestehenden Grenzen zu ihren Nachbarstaaten als unverletzlich an.
b) Die Republik Deutschland verzichtet verfassungsmäßig auf eigenes Militär; Bundeswehr und NVA sind schnellstmöglich aufzulösen.
c) Die Republik Deutschland wird politisches Mitglied von NATO und Warschauer Pakt, solange diese Bündnissysteme bestehen. Sie setzt sich für die Auflösung der Blöcke ein.
d) Die Republik Deutschland ist somit verpflichtet, sich für das Ziel einer europäischen Friedensordnung und eines kollektiven Sicherheitssystems sowie für das Ziel eines entmilitarisierten Europa einzusetzen.
e) Die bisher auf den Territorien der BRD und DDR stationierten Streitkräfte der Vier Mächte und anderer Nachbarstaaten bleiben dort solange, bis ihre Stationierung im Rahmen einer europäischen Friedensordnung aufgehoben wird.
2. Falls diese Abstimmung in der DDR und der BRD eine Mehrheit für die Vereinigung ergibt, wird unverzüglich eine Verfassungsgebende Versammlung gewählt.
3. Die Verfassungsgebende Versammlung sollte durch die Volksabstimmung auf folgende Mindestvorgaben verpflichtet werden:
a) Die Garantie der Menschenrechte und eines demokratischen, sozialen und föderativen Rechtsstaats,
b) Das Staatsziel der Garantie und schnellstmöglichen Herstellung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse für alle Menschen in Deutschland,
c) Das Staatsziel der Garantie und schnellstmöglichen Herstellung von Bedingungen für ein die natürlichen Lebensgrundlagen und Ressourcen schonendes und erhaltendes Wirtschaften.
4. Die Verfassung tritt in Kraft, wenn sie in Volksabstimmungen jeweils Mehrheiten der Bürgerinnen und Bürger der BRD und DDR gefunden hat.
5. Bis zum Inkrafttreten der Verfassung gelten die Verfassungen der BRD und der DDR weiter. Regierungen und Parlamente von DDR und BRD sind während dieser Zeit gehalten, alle den Verfassunggeber nicht festlegenden Schritte zur Vorbereitung der Vereinigung zu tun. Dabei ist insbesondere bei der Vereinheitlichung der Währungen und der Angleichung der Produktivitäten ein politisch gestützter Prozeß des ökonomischen Umbaus, der sozialen Einbrüchen entgegenwirkt, vorzusehen.
Berlin, den 1. 3. 1990
Joachim Borner, Berlin (DDR)
Ewald Böhlke, Berlin (DDR)
Klaus Labsch, Berlin (DDR)
Stefan Wohanka, Berlin (DDR)
Bodo Zeuner, Berlin (West)
Ulrich Albrecht, Berlin (West)
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