Frühling in Rockenhausen wie auch in Berlin: Von Joy Fleming geträumt
Ausgehen und Rumstehen
von René Hamann
Ah, das ist „Strange Fruit“, sagte ich. „Nina Simone.“ Dass das natürlich falsch war oder zumindest nicht wirklich richtig, ging uns zunächst nicht auf. Die Musik war zu gut an diesem Abend in der Fahimi Bar. Und es musste Jazz sein – oder wenigstens die Popversion davon.
„Strange Fruit“ ist im Original natürlich von Billie Holliday. Stand auch anderntags was in der Zeitung darüber. Ein Song, der Sklaverei und Rassismus behandelt und von auf Bäumen aufgeknüpften Menschen berichtet: „Black bodies swinging in the southern breeze / Strange fruit hanging from the poplar trees …“ Makaber, aber deutlich. So, wie es sein muss. Nicht ganz falsch war meine Vermutung, weil es auch eine Version von Nina Simone von dem Stück gibt. Die ebenfalls herausragend ist.
Wir waren schon vorher in entsprechender Stimmung, denn vor dem Gang in die Fahimi Bar am Kotti hatten wir uns „Moonlight“ angesehen, den Film, der so schön mit Unschärfen arbeitet, sodass man einige Male seine Brille rücken musste im Kino. Ein oscarreifer Film, auf jeden Fall. Ein würdiger Gewinner (auch wenn „La La Land“ ebenfalls gefiel). Auch mit einer Menge guter Musik. Vielleicht, dachte ich später, war er aber in all seiner politisch korrekten Anlage (ein genuin schwarzer Film, in dem kein einziger Weißer auftaucht) doch eine Spur zu vorhersehbar: ein ruhiges, genaues, detailverliebtes Erzählen, das viel vom tradierten Arthaus-Kino gelernt hat, aber dann eine im Grunde sehr neu-hollywoodhafte Wendung unternimmt: die Coming-of-Age-Geschichte eines sensiblen jungen Manns aus einem dysfunktionalen Mutter-Kind-Verhältnis (und Drogen und Schulprobleme und Getto und Unterschicht, das ganze Programm). Fast schon eben „leider“ verknüpft der Film diese männliche Sensibilität mit Homosexualität.
Aber gut, egal. Trotzdem ein sehr guter Film. „Soul Bossa Nova“ erklang. „Ah, Herbie Hancock“, sagte ich und lag schon wieder daneben. „Quincy Jones!“, sagte A. Dafür hatte er dann die Gruppe falsch, die über das Stück hinweggerappt hatte: „US 3“, meinte er, aber das waren eben die mit „Cantaloop“, also mit dem Original von Herbie Hancock. Die richtige Antwort diesmal lautete: Dream Warriors, „My Definition of a Boombastic Jazz Style“!
In der darauf folgenden Nacht hatte ich dann von Joy Fleming geträumt. Obwohl, stimmt auch nicht so ganz. Geträumt hatte ich von einer Art Quiz-Szenario, in dem nach einer Sängerin gefragt wurde, die in Solingen, meiner Geburtsstadt, geboren war. Richtige Antwort (im Traum): Joy Fleming! Die Suchmaschine im Realen sagte dann, dass Joy Fleming keineswegs aus Solingen stammte. Sondern aus Rockenhausen. Vielleicht sollte ich mal in den Fläming fahren oder weiter überlegen, welche Sängerin tatsächlich aus Solingen kommt. Oder mal wieder zu Joy Kontakt aufnehmen, die ich tatsächlich kenne. Oder einfach an die Freude der Geburt denken. Oder was weiß ich.
Rockenhausen wiederum ist eine Gemeinde im Donnersbergkreis in Rheinland-Pfalz, schreibt jedenfalls Wikipedia. Nachgeprüft habe ich das nicht, vielleicht aber sind ein paar Korrespondenten schon mal da durchgefahren auf ihrem Weg ins Saarland.
Draußen herrschte herrliches Wetter! Fortan würde das Joggen am Samstag oder Sonntag wieder zum Spießrutenlauf an chillenden Hipstern, grinsenden Jungs from da Hood und Babys kutschierenden oder vor sich her tragenden Elternteilen vorbei sein. Kein echtes Vergnügen. Trotz der Musik, die man dabei auf den Ohren hat. Sommer, Freude, Sonnenschein, wir strecken aus das Bein, wenn wir ihm Café knapp außerhalb des Free-Wifi-Bereichs sitzen oder vor dem Wahlvietnamesen in der Karl Marx. Es ist Frühling, es muss Frühling sein, in Rockenhausen als auch in Berlin.
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