Fridays for Future und die Zukunft : Wie geht es weiter, Clara Mayer?
Die Klimapolitik-Aktivistin über das Fridays-for-Future-Jahr und die Konsequenzen daraus für 2020.
Von PETER UNFRIED
Clara Mayer kommt direkt von der Tagesschicht in einer Intensivstation in ein Café in Berlin-Mitte. Sie telefoniert in perfektem Oxford-Englisch mit einem klitzekleinen Minnesota-Einschlag. Nach dem taz FUTURZWEI-Gespräch hat sie zehn verpasste Anrufe.
taz FUTURZWEI: Frau Mayer, ich muss für die Verschriftlichung fragen: Die Gender-Gap-Pause, die Sie vor -innen machen, ist das ein Unterstrich oder ein Sternchen?
CLARA MAYER: Das ist ein Sternchen. Toll, dass Sie fragen.
Wie war Ihr Jahr, wo kommen Sie her und wo sind Sie jetzt?
An Neujahr 2019 war ich politisch noch wesentlich inaktiver. Mein Thema war immer so ein bisschen Feminismus gewesen. Vor allem soziale Gleichberechtigung war mir sehr, sehr wichtig. Das Klimathema war für mich eine Randbedrohung. Ich war auch eine von diesen Personen, die dachte, beim Klima geht’s so ein bisschen um Eisbären, Schmetterlinge und Geckos, die irgendwo im Regenwald sterben. Erst in diesem Jahr habe ich verstanden, dass die Klimakrise die größte soziale Krise ist, die wir haben, und dass sie soziale Gleichberechtigung und Gleichstellung unmöglich macht. Als mir das klar war, habe ich die Dringlichkeit gesehen, mich richtig zu engagieren.
Haben Sie den Eindruck, dass alle in den gesellschaftspolitisch progressiven Milieus das inzwischen gecheckt haben?
Überhaupt nicht. Ich rede mit ganz vielen Leuten, die sagen: »Toll, dass du bei FFF mitmachst, ich find's ja auch blöd, dass Schmetterlinge und Geckos im Regenwald aussterben.« Die finden es zwar toll, aber sie sehen nicht das Ausmaß der Krise, weswegen sie sich womöglich auch selber nicht engagieren. Das Wichtigste und Dringlichste, das wir im nächsten Jahr tun müssen, ist Aufklärungsarbeit: den Leuten zeigen, welches Ausmaß diese Krise auch auf die deutsche Bevölkerung, unseren Wohlstand, unsere Liquidität und unsere Gesundheit haben wird.
Es ist nicht der Job von FFF, konkrete Sachpolitik zu entwerfen. Aber die Klimapolitik, die Sie bestellen, kann die Regierung ganz offensichtlich nicht entwickeln. Werden Sie das übernehmen?
Die Politik tut momentan so, als hätte sie wenig Ahnung von dem Thema, und wir maßen uns nicht an, alle Fakten im Kopf zu haben. Aber wir haben die Fakten hinter uns. Wir sagen: Wir sind nicht die Experten. Aber wir haben die Experten hinter uns. Wir haben ganz, ganz viele Leute, vor allem viele Klimawissenschaftler*innen, die sich mit dem Thema perfekt auskennen. Und Ökonomen*innen, die das Thema bis ins kleinste Detail durchanalysiert haben.
Was ist Ihr strategisches Ziel?
Wir zeigen mit dem Finger auf die Politik und sagen: »Hört auf die Wissenschaftler*innen!« Wir haben gerade viele, die über das klimapolitische Engagement sagen: »Find ich ganz nett.« Wir haben immer noch relativ wenige, die sagen: »Wichtigstes Thema in meinem Leben gerade.« Wir brauchen also eine noch größere Menge der Gesellschaft hinter uns. Ich glaube, die Klimakrise kann nur auf politischer Ebene gelöst werden. Zum Beispiel muss die Politik große Firmen einschränken. Weil Coca-Cola und die Frackingfirmen auch durch das süßeste »Bitte, bitte« nicht sagen werden: »Klar, dann wir stellen unsere Industrie jetzt klimafreundlich um.« Da hilft nur Druck. Und wie macht die Politik der Wirtschaft Druck? Indem wir der Politik Druck machen.
Der Politiker muss wiedergewählt werden. Speziell die CDU-Politiker wissen im Moment nicht, ob sie gewählt werden, wenn sie Klimapolitik machen oder wenn sie sie nicht machen.
Deshalb müssen wir ihnen zeigen: Ihr seid nicht mehr beliebt, ihr werdet euren Job verlieren, ich werdet nicht mehr wiedergewählt werden, wenn ihr diese Krise jetzt nicht als Priorität Nummer eins auf eure Liste setzt. Dann werden sie handeln müssen. Intern haben uns auch ganz viele CDU-Politiker*innen verraten, dass sie sehr große Angst um ihren persönlichen Arbeitsplatz haben. Weil sie denken, dass sie nicht wiedergewählt werden, wenn sie keine Klimapolitik machen. Das zeigt, dass wir den notwendigen Druck nur von einer breiten Gesellschaft bekommen. Bisher kommt er scheinbar nur von der Jugend, obwohl es kein Problem der Jugend ist, sondern ein allumfassendes gesellschaftliches Problem. Es wäre auch ein fataler Fehler, zu denken, um die Klimakrise müssen sich die Grünen kümmern. Erst wenn es eine allgemeingesellschaftliche Angelegenheit wird, dann ist der Druck so riesig, dass überparteilich und von allen Parteien standfeste Klimaschutzgesetze kommen werden.
Das haben Sie 2019 noch nicht geschafft. Die anderen definieren sich über Abgrenzung von den Grünen und damit von Klimapolitik.
Stimmt. Bisher geht das Spiel der anderen Parteien so: Die Grünen sagen das und dann müssen wir eine gegenteilige Position haben. Irgendwann war ich an dem Punkt, an dem ich mir eine Rede von einem Klimawissenschaftler angehört habe, der über die finanziellen Aspekte der Krise geredet hat. Dass diese Krise jedes Jahr teurer wird. Und zwar werden die Leute am meisten darunter leiden, denen vor allem von CSU und SPD Angst vor dem Lösen dieser Krise gemacht wird. Ich dachte: Was ist das eigentlich für eine dreckige Angelegenheit? Dass Menschen instrumentalisiert werden, gegen ihre eigenen Interessen zu wählen und zu agieren.
Die SPD hat die Chance nicht verstanden, im Angesicht der Realität Gerechtigkeit neu und sozialökologisch zu definieren. Teilen Sie das?
Im Endeffekt ist es eine Schande, dass die SPD die Lösung dieser Krise als sozialen Konflikt darstellt, obwohl eigentlich diese Krise der soziale Konflikt ist. Das wird nicht nur ein Konflikt zwischen globalem Norden und globalem Süden, sondern auch ein Konflikt zwischen den sozialen Schichten in Deutschland werden. Irgendwann werden wir an einen Punkt kommen, an dem wir alle finanziellen Töpfe leeren müssen, um diese Krise zu bewältigen. Das heißt: Gesundheitskasse, Rentenkasse werden weg sein. Es ist also andersherum: Wenn die Politik das aussprechen würde, was Realität ist, hätten sie ganz schnell, ganz, ganz, große Mehrheiten für Klimapolitik hinter sich. Denn bei Rente und Gesundheitssystem lässt in Deutschland niemand mit sich scherzen.
Wie muss Klimapolitik in der Parteienpolitik verankert sein?
Klimapolitik ist kein Thema, dass einer spezifischen Partei zuzuordnen ist. Überparteilich muss über Lösungen nachgedacht werden. Wenn wir eine Finanzkrise haben, sagt ja auch niemand, dass dafür jetzt die FDP zuständig sei. Es kann nicht sein, dass Klimapolitik bei manchen Parteien nur bedeutet, dass Söder sich für Instagram in einem grünen Wald ablichten lässt.
Was machen Sie dafür nächstes Jahr anders als dieses Jahr?
Ich werde nochmal anders über diese Krise reden. Ich saß letztens in einem Raum mit dreißig jungen Menschen, total repräsentativ, und keiner wusste, dass FFF fordert, dass das Pariser Klimaabkommen eingehalten wird. Dass die Versprechen eingehalten werden, die diese Politiker*innen gemacht haben. Das wusste niemand. Die dachten alle, FFF geht es um Pelzverbote und Strohhalme.
Heißt?
Wir haben die Gesellschaft aufgerüttelt und gleichzeitig bin ich in einer sehr großen Blase. Ich muss viel präziser reden. Klarmachen, dass ich nicht von Insekten rede, sondern von Menschen. Von Menschen in Deutschland.
Glauben Sie, der Wandel kommt dadurch, dass Menschen bessere Menschen werden?
Wie jetzt?
Moralisch bessere Menschen.
Ich glaube, die meisten Menschen sind vor allem mit ihrem eigenen Leben beschäftigt. Und das ist kein Vorwurf, überhaupt nicht. Das eigene Leben ist meistens viel zu interessant für einen selbst, als dass man Zeit für was anderes hätte. Deshalb muss man den Leuten zeigen, dass ihr eigenes Leben betroffen sein wird. Dass es nicht schwammig um ihre Zukunft geht, sondern um ihr Haus, ihre Kinder, ihre Rente. Dann kommt man schnell an einen Punkt, wo alle logisch einsehen, dass man schnell handeln muss.
Was haben Sie in diesem Jahr über Medien gelernt?
Viel. Als Pressesprecherin habe ich gelernt, wie man Sachen sinnvoll formuliert. Mit welchen Medien man redet. Ob ich jetzt mit einem Wochenblättchen des rechten Spektrums reden sollte, ist fraglich. Vor allem habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass es gar nicht so relevant ist, ob die großen Medien am Anfang auf einen hören oder nicht.
Taten sie nicht?
Nein. Im Januar, Februar hatten wir relativ wenig mediale Aufmerksamkeit. Ab und zu kam jemand vom rbb oder auch mal von phoenix vorbei. Die haben sich neben uns gestellt und gesagt: Haltet doch mal ein Schild in die Kamera. Macht sich ja so gut zwischen zwei ernsten Nachrichten für die Erwachsenen. Mich hat es sehr frustriert, wie sehr sich die Medien am Anfang an der Art und Weise aufhielten, über die wir unsere Wut und Enttäuschung loswerden, also das Schulstreiken. Noch schlimmer war, dass sie uns total verniedlicht haben. Dass wir schöne Bilder fürs Fernsehen waren und nicht seriöse Nachrichten. Und dass sie unsere Bedürfnisse und Sorgen überhaupt nicht ernst genommen haben.
Wie haben Sie das geändert?
Wir haben gesagt: Wir sind hier doch nicht von irgendwem abhängig. Wir haben sehr viel mit sozialen Medien gearbeitet, Mobilisierungsvideos erstellt und uns die ernsthafte Aufmerksamkeit, die wir nicht bekommen haben, selbst generiert. Das war ein Moment für mich, ab dem es mir besser ging: Als ich nicht mehr die Verpflichtung hatte, jedem Mister XY eine Antwort zu geben, der mir ein Mikrofon ins Gesicht hält. Ich hatte jetzt das Selbstbewusstsein, dass mir erlaubte, wenn Leute nicht gut mit einem umgehen, das auch auszusprechen. Inzwischen werden wir wahrhaftig ernstgenommen von den klassischen Medien. Ich habe letztens einen wundervollen Fernsehbeitrag über die CO2-Steuer gesehen. Die Klimakrise kam nicht ganz am Ende oder als Zwischenfrequenz, sondern war das erste Thema. Der erste Satz der Moderatorin war sinngemäß: »Wir haben mit Experten vom ADAC und Expertinnen von FFF geredet.« Das war ein Moment, in dem ich dachte: »Ok. Wir haben’s irgendwie geschafft«. Wir werden nicht mehr wie die kleinen süßen Fridays behandelt. Wir sind jetzt ernstzunehmende politische Akteur*innen.
Was haben Sie über Politik und Politiker gelernt?
Wenn ich früher Politiker*innen getroffen habe, was sporadisch auch mal passiert ist, war ich immer relativ höflich und sehr dezent in der Kritik. Ich dachte, dass die alle das Beste wollen. Für einige stimmt das. Für andere nicht. Und jetzt setz ich mich auch in einen Raum von zwanzig alten weißen Männern in Anzug und sage: Entschuldigung, das, was Sie tun, ist nicht richtig – und Sie wissen das. Wir sind nicht die kleinen süßen Kindchen, neben die man sich für ein Foto stellt, um sich als Politiker mal eben mit einem süßen Instagram Social Media aufzupeppen. Wir sind der Dorn im Auge der Politik, und wir werden es bleiben.
Gab es einen zentralen Gedanken, ein Gespräch, einen Menschen, der Sie weitergebracht hat?
Ich habe im letzten dreiviertel Jahr so viele unglaublich beeindruckende Leute kennengelernt. Und all das hat mich unglaublich weitergebracht. Der US-amerikanische Aktivist Bill McKibben hat mir nochmal eine ganz andere Sicht auf die Dinge gegeben und mir gezeigt, dass es Leute gibt, die hinter einem stehen und sich seit Jahren dafür engagieren. Durch die Kontakte mit vielen gleichaltrigen FFF-Aktivist*innen aus anderen Ländern habe ich gemerkt, dass man global nicht allein ist und wie unterschiedlich und auch gleich die Kämpfe für Klimagerechtigkeit sind, die wir in allen Ländern führen. Bei den ganzen einflussreichen Leuten, vor allem bei Politiker*innen, habe ich gemerkt, dass sie selbst meistens gar nicht so sicher sind in dem, was sie sagen. Dass man nicht alles für bare Münze nehmen sollte. Und dass auch solche Gespräche viel bringen.
Sind Sie durch Ihr Engagement liberaler geworden? Oder weniger liberal?
Ich weiß nicht, ob liberal das richtige Wort ist. Ich bin an einem Punkt, an dem ich sage: Was inzwischen Großteile der Bevölkerung fordern, nämlich Klimaschutz, darf nicht länger von der Politik allein deswegen ignoriert werden, weil Lobbyisten es so wollen. Im Grundgesetz steht – ich paraphrasiere –, dass es Aufgabe der Regierung ist, das Leben der zukünftigen Generationen zu sichern. Das tut die Regierung momentan nicht. Sie versagt also auf gesetzlicher und grundgesetzlicher Ebene.
Wie stehen sie zu Law and Order? Also Ordnungspolitik, die einen Rahmen liefert für die sozialökologische Transformation. Gesetze, Verbote, damit man die Erhitzung zumindest bei zwei Grad halten kann.
1,5 Grad. Ich glaube, die Leute, die so ein bisschen gegen uns spielen, wollen uns immer ein bisschen nach oben schieben. Sagen wir 1,5, sagen sie: Okay, 2. Würden wir 2 sagen, würden sie sofort höhergehen.
Law and order – ja oder nein?
Ich bin der Meinung, dass wir sowohl mit Anreizen als auch mit Verboten agieren müssen. Boni oder steuerliche Vergünstigungen für klimafreundliches Verhalten etwa. Aber niemand muss mit dreihundert Stundenkilometern mit dem SUV über die Autobahn brettern. Wenn Leute zu mir kommen und sagen: »Das ist mein Menschenrecht«, denke ich mir immer nur: »Entschuldigung, welches Menschenrecht?« Und wie verhält sich das mit dem Recht von jemand anderem, saubere Luft zu haben oder einfach zu überleben? Im Endeffekt gibt es viele Dinge, die in unserer Gesellschaft verboten sind. Man darf nicht jeden überall anfassen. Man darf jemandem nicht in die Fresse hauen. Man darf also Menschen nicht aktiv wehtun. Klimaschädliches Verhalten tut anderen Menschen extrem weh. Und deshalb muss man sagen, dass nicht jedes Verhalten in diesem Land erlaubt sein kann, nur weil jemand Lust darauf hat.
Was haben Sie in Fernseh-Talkshows wie Markus Lanz mitgenommen? Sie waren ja auch dort.
Ich habe das Gefühl, häufig werden da die falschen Debatten angesprochen. Ich war in einer Runde bei Lanz mit dem TUI-Chef. Und es wurde darüber geredet, ob Kreuzfahrten in der Zukunft noch möglich sein werden. Das ist schlicht keine Debatte. Die Antwort ist: nein. Das ist einfach zu schädlich und wird deshalb logisch nicht mehr möglich sein. Das ist ein bisschen, als würde man eine Talkshow machen mit der Frage: Ist es vertretbar, anderen Leuten wehzutun? Das tun Kreuzfahrten. Und da den Menschen einzuladen, der von diesen Kreuzfahrten profitiert, und ihn gegen eine Person zu stellen, die in dem Punkt hofft, für das gesundheitliche Interesse der Menschen und Tiere auf diesem Planeten zu reden, das spiegelt eine Gleichberechtigung der Interessen wider, die einfach nicht da ist.
Manche junge Frauen von Fridays for Future fragen sich, ob sie Kinder haben wollen oder können. Das gab es in den 70ern und 80ern schon einmal. Wo kommt das Gefühl her?
Viele Menschen sehen den aktuellen Kurs der GroKo und fürchten um ihre Zukunft. Aus diesem Gefühl heraus sagen sie: »Ich weiß gar nicht, ob es je dazu kommt, dass ich überhaupt Kinder bekommen werde, ob meine Kinder überhaupt ein glückliches und gesundes Leben haben werden.«
Ich würde argumentieren: Wenn ich keine Kinder mehr haben will, dann habe ich die Welt aufgegeben.
Nein. Ich finde, diese Ängste muss man wahrnehmen. Wenn es die Überlegung gibt, keine nächste Generation in die Welt zu setzen, weil man Angst hat um die potenziellen Kinder, dann sieht man wie real die Angst der Menschen ist. Ich selbst bin da anderer Meinung: Ob ich Kinder bekommen werde oder nicht, ist total unklar. Aber wir sind die neue Generation, die etwas zum Besseren verändert, und ich habe die Hoffnung, dass danach eine weitere Generation kommt, die auch ganz viele positive Veränderungen herbeiführen wird.
Werden Fridays for Future irgendwann eine politische Partei?
Nein.