Frankreich: Tristesse Royal : KOMMENTAR VON DOROTHEA HAHN
Verbissene Machtkämpfe an der Spitze großer Parteien, verbunden mit Vorwürfen von Verrat und Intrige, hat es in Frankreich oft gegeben. Lange Zeit aber blieben sie auf Männer der Rechten beschränkt. In den Neunzigerjahren befehdeten sich Jacques Chirac und Edouard Balladur öffentlich, Anfang dieses Jahrzehnts Nicolas Sarkozy und Dominique de Villepin. Dass dieses Mal zwei Frauen bei den Sozialisten (PS) um die Spitzenposition ringen, ist neu. Anlass für Häme über vermeintliche „Zickenkämpfe“ ist das nicht. Vielmehr kann frau zufrieden feststellen, dass die Emanzipation auch in Frankreich Fortschritte macht.
Das ist aber auch schon die einzige positive Nachricht aus der größten französischen Oppositionspartei. Alles andere ist ein Desaster. Die einzige Formation, die im Parlament, in den Regionen und Gemeinden das nötige Gewicht hätte, um Staatspräsident Sarkozy herauszufordern, zerfleischt sich in internen Machtkämpfen. Zu fast allen wichtigen Fragen – zur Rezession, zur Finanzkrise, zur Immigration oder zum Arbeitsrecht – ist die Stimme der Sozialisten praktisch unhörbar.
Das Chaos bei der Wahl ihrer Parteiführung ist nur das letzte Kapitel im langen Niedergang der Sozialisten. Die Partei hat seit 1995 drei Präsidentschaftswahlen, das Referendum zur EU-Verfassung und einen großen Teil ihres Führungspersonals verloren. Leider zog sie aus der Summe ihrer Niederlagen keine programmatischen Konsequenzen. Die beiden Frauen, die an die Spitze der PS streben, könnten zumindest etwas mehr Klarheit über den künftigen Kurs bringen. Ségolène Royal orientiert sich am Vorbild der US-amerikanischen Demokraten und sucht Allianzen in der Mitte. Martine Aubry dagegen will die Partei, deren wichtigster historischer Partner einst die – heute bedeutungslosen – französischen Kommunisten waren, für neue linke Bündnisse öffnen.
Die Zeit drängt, denn Frankreich braucht eine echte Opposition. Von der Selbstzerstörung der PS profitieren die trotzkistische LCR, die sich in „Neue antikapitalistische Partei“ umbenennen will, und der rechtsliberale François Bayrou. Beide zusammen sind aber nicht stark genug, um dem amtierenden Präsidenten Paroli zu bieten.