Fragen der Zeit: Freiheitsikone Billie Eilish
Ist Billie Eilish, was vor fünfzig Jahren Easy Rider war – das zeitgemäße Bild von Freiheit?
Von NICHOLAS CZICHI-WELZER
Umgebaute Motorräder, endlose Highways, freie Liebe, Gras und LSD. Ein tiefes Unverstandenfühlen, allgegenwärtige Abneigung und Gewaltakte der herrschenden Ordnung – der Roadmovie Easy Rider aus dem Jahr 1969 fasst wie kein anderer Film das Lebensgefühl der 68er-Generation zusammen und wurde so zum Sinnbild für ein Streben nach Freiheit und eine Existenz fernab gesellschaftlicher Vorstellungen und Zwänge. Über 50 Jahre sind seither vergangen und nicht nur die Welt, auch der Freiheitsbegriff sind andere geworden. In einer Epoche multipler Krisen, die nur kollektiv zu bewältigen sind, wirkt der blanke Fokus auf das eigene Ausbrechen aus Konvention und Gemeinschaft egoistisch, der Selbstfindungstrip angesichts der Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht, banal. Freiheit ja, aber dort aufhörend, wo die Freiheit zukünftiger Generationen beginnt, so hat es selbst das nicht gerade einem jugendlichen Idealismus zu verdächtigende Bundesverfassungsgericht kürzlich in einem Urteil festgehalten.
Easy Rider taugt schon lange nicht mehr als Ikonografie von Freiheit. Und wo ein ähnlich stilprägender Film für die Generation Z bisher fehlt und vielleicht aufgrund der durch das Internet beförderten Hyperindividualisierung auch niemals aufkommen wird, könnte ein junger Megastar an seine Stelle rücken. Billie Eilish, heute 19, wurde mit ihrem Song Ocean Eyes mit 13 Jahren über die Streamingplattform Soundcloud berühmt und gewann drei Jahre später sechs Grammys mit ihrem Debütalbum When We All Fall Asleep, Where Do We Go?, das sie gemeinsam mit ihrem Bruder Finneas in ihrem Elternhaus geschrieben und aufgenommen hatte. Anders als anderen großen Stars haftet ihrem Erfolg seitdem ein spezifischer DIY-Charakter an. Eilish wurde berühmt über eine Plattform, die jede*r zum Upload von Songs verwenden kann und beließ den künstlerischen Schaffensprozess auch nach den ersten Erfolgen zum Großteil in ihrer eigenen Familie. Ihr Stil ist eigenwillig und markant, uninteressiert an Genregrenzen und Erwartungen in Musik wie Auftreten. Häufig in weit geschnittener Kleidung zu sehen, versucht sie von Beginn an, sich der öffentlichen Bewertung ihres Körpers zu entziehen.
Freiheit und Verantwortung
Die Art von Freiheit, die Eilish repräsentiert, grenzt sich von der in Easy Rider insofern ab, als dass sie ihre eigene Verantwortung nicht negiert. Wo im Film ein Kokainverkauf die Finanzspritze für den Selbstfindungstrip liefert, kritisiert die Sängerin in ihrem Song xanny Drogenmissbrauch am Beispiel des angstlösenden und vor allem in Hip-Hop-Kreisen populären Medikaments Xanax. Wo Dennis Hopper und Peter Fonda auf qualmenden Harleys durch die Vereinigten Staaten fahren, lebt Billie Eilish vegan und engagiert sich gegen die Klimakatastrophe (welche, wie fairerweise gesagt werden muss, zu Zeiten von Easy Rider noch nicht ins öffentliche Bewusstsein getreten war). Wo die 68er-Generation altmodisch wirkende familiäre Strukturen hinter sich lassen wollte, nutzt die Sängerin sie als kreativen und seelischen Anker in einer stetig komplexer werdenden Welt.
Statt sich dem blanken Hedonismus hinzugeben, eigene Probleme zu verdrängen und diese so womöglich, zum eigenen Leid wie dem anderer, den Rest des Lebens zu verschleppen, reflektiert Eilish ihre mentale Gesundheit schon früh, verarbeitet diese in ihren Liedern und thematisiert etwa ihre Depression auch in Interviews. Ein Gegenentwurf zu manchen heute in Führungspositionen sitzenden Alt-68er*innen mit untherapiertem Aggressionsproblem.
All dies macht sie zur passenden Ikone einer Zeit, die sich einen rein individualistischen Freiheitsbegriff nicht mehr leisten kann. Der neue Freiheitsbegriff mag zunächst gehemmter daherkommen, da er ein selbstbestimmtes Leben mit kollektiven Notwendigkeiten in Einklang bringen muss. Aber er ist der einzige Weg, Freiheit überhaupt auf Dauer gewährleisten zu können. Denn auch die Pandemie, mit ihren massiv auseinanderdriftenden Impfraten in verschiedenen Teilen der Erde, hat uns eines nochmal deutlich vor Augen geführt: Wir sind erst wirklich frei, wenn alle frei sind.
Dieser Beitrag ist in taz FUTURZWEI N°18 erschienen.
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