Forum zur Aufarbeitung der SED-Vergangenheit in Leipzig gegründet: Erinnerungsarbeitstatt Tribunal
■ Aus der ursprünglichen Initiative für ein Tribunal zur Bewältigung der SED-Vergangenheit hat sich jetzt das "Forum zur Aufarbeitung...
Erinnerungsarbeit statt Tribunal Aus der ursprünglichen Initiative für ein Tribunal zur Bewältigung der SED-Vergangenheit hat sich jetzt das „Forum zur Aufarbeitung und Erneuerung“ konstituiert. Der Bundestag nimmt sich dem Thema mit einer Enquete-Kommission an.
VON MATTHIAS GEIS
Fast schon zum Tabu geworden ist der Begriff, dem das Leipziger „Forum zur Aufarbeitung und Erneuerung“ einen Gutteil seines öffentlichen Interesses verdankt. Mit dem Reizwort „Tribunal“ benennt die Initiative heute eher, was sie nicht sein will: eine „Organisation der freischwebenden Moralität“. Die Konfrontation zwischen Opfern und Tätern, der öffentliche moralische Schuldspruch gehören nicht länger zu den Hauptanliegen. Die Frage „Was ist geschehen?“ ist für die Arbeit der Initiative wichtiger als die Frage „Wer ist es gewesen?“ — setzt Wolfgang Ullmann heute unmißverständlich die Akzente.
An der Tribunal-Idee hatte sich in den letzten Monaten eine heftige Kontroverse über den rechtsstaatlichen Umgang mit der DDR-Vergangenheit und deren Hauptverantwortlichen entzündet. Vor allem westliche Kritiker sahen im „Tribunal“ den zweifelhaften Versuch, die Schwierigkeiten bei der strafrechtlichen Aufarbeitung des SED-Unrechts zu kompensieren und dem Bedürfnis der Opfer nach Rache „auf eigene Faust“ Genüge zu tun. Vor einem bedenklichen Rückgriff auf Praktiken des Regimes, vor „Schauprozessen“ und „Orgien der Moralität“ wurde gewarnt, wobei sich die Kritik weniger an den Argumenten der Initiatoren als an der düsteren Aura des Tribunal-Begriffs entzündete. Die Kritik zeigte Wirkung, wohl auch deshalb, weil die Initiatoren selbst ihren Versuch der Aufklärung und Erinnerung im Tribunal- Begriff eher mißverständlich und verkürzt benannt sahen.
Zur Umakzentuierung des Projekts hat zweifellos auch die Debatte seit der Öffnung der Stasi-Archive und die Kritik an einer spektakulären, eher vordergründigen Täter-Suche beigetragen. Es gehe darum, die „Praxis der politischen Unmenschlichkeit aufzuklären“, nicht „mit Fingern auf die Täter zu zeigen“, versucht Ullmann verbliebene Vorbehalte zu zerstreuen. Es geht um „die Konkretion von Urteilen über die Verhältnisse“, umschreibt Wolfgang Thierse das Vorhaben.
Noch aus einem anderen Grund hält Gerd Poppe, der am Wochenende zusammen mit Ullmann, Thierse und Schorlemmer in den neunköpfigen Vereinsvorstand gewählt wurde, die Konzentration auf die Täter nicht für eine Hauptaufgabe. Vielmehr sieht er mit der Gründung eine „Lobby für die Opfer“ entstehen. Eine Interessenvertretung nicht für die wenigen Oppositionellen der 80er Jahre — zu denen er selbst zählt —, sondern für die namenlosen Leidtragenden des DDR- Stalinismus der 50er und 60er Jahre, deren Geschichte bislang überhaupt noch nicht wahrgenommen worden sei. Indem die Initiative aufklärt, was ihnen geschehen sei, könne sie am ehesten dazu beitragen, daß diesen Opfern Gerechtigkeit widerfahre. Zudem gehören Unrechtsbereinigung, Rehabilitierung und Wiedergutmachung zu den politischen Zielsetzungen des Vereins, der damit zugleich aus der Rolle eines eher intellektuell-politischen Zirkels herauswächst und Ausstrahlungskraft auf die in der ehemaligen DDR entstandenen Opferverbände gewinnt. Deren massive Kritik an den bisherigen Gesetzesinitiativen zur Unrechtsbereinigung könnte so zu einer Triebkraft des Forums werden.
Demgegenüber hält sich die Attraktion des Forums für ein möglichst breites politisches Spektrum bisher eher in Grenzen. Zwar schaute der brandenburgische CDU- Chef Ulf Finck bei der Leipziger Gründung vorbei, und mit dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses im Bundestag, Herbert Helmrich, sitzt zumindest ein CDU-Mitglied im Vereinsvorstand. Doch getragen wird das Forum von Bürgerrechtlern und Sozialdemokraten.
Auf sozialdemokratische Initiative geht auch der andere Versuch zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit zurück, den der Bundestag Mitte März in Form einer Enquete- Kommission gestartet hat. 16 Abgeordnete, die von neun Sachverständigen, darunter dem renommierten Kommunismusforscher Herrmann Weber, unterstützt werden, sollen für den Bundestag Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit leisten. Die bisher von den Fraktionen vorgelegten inhaltlichen Anträge lesen sich wie die vagen Vorgaben für ein langjähriges historisches Forschungsprojekt. Über die Entscheidungsstrukturen innerhalb des Partei- und Repressionsapparates, den Einfluß der SED in Staat und Gesellschaft bis hin zu den Anpassungs- und Widerstandsmechanismen im Alltag wollen die Fraktionen informiert werden. Wird das Aufgabenfeld nicht präzisiert, so die Kritiker, könne man die Kommission gleich vergessen.
Eine andere Hypothek der Enquete hat sich bereits während der Parlamentsdebatte angedeutet. CDU und SPD stritten erbittert über ihre frühere Deutschlandpolitik. Sie soll— so die Ost-Parlamentarier, die in der Enquete die Mehrheit stellen — zwar Thema, aber keinesfalls Hauptschwerpunkt werden.
Negative Erfahrungen mit früheren Enquete-Versuchen, die im Hinblick auf die Gesetzgebung meist folgenlos blieben, stimmen skeptisch. Wolfgang Thierse sieht, unabhängig von der Qualität der Enquete, die Gefahr, daß das Parlament die Vorlage des Kommissionsberichtes zum Anlaß nehmen könnte, das Kapitel DDR-Vergangenheit entgültig zu schließen: „Vergangenheit aufgearbeitet — Deckel drauf.“
Eine Konkurrenz zwischen Forum und Enquete wird von den Beteiligten einhellig bestritten. „Doch bei allem, was Recht und Aufgabe des Parlaments ist“, relativiert Wolfgang Thierse die Bedeutung der Kommission — sie kann „den eigentlichen Prozeß der Konfrontation mit unserer Geschichte nicht ersetzen.“ Das Forum sei Ausdruck dafür, daß man sich bei dieser Herausforderung „nicht vertreten“ lasse.
Doch nachdem die prekäre, zugleich aber zündende Tribunal-Idee vom Tisch ist, fällt es dem Forum nicht leicht, die Form seiner zukünftigen Arbeit zu konkretisieren. Die Impulse sollen vor allem durch die Vernetzung örtlicher Initiativen und Betroffenenverbände entstehen. Ob das Forum allein als „Koordinations- und Konsultationspunkt für alle an der Aufarbeitung der sozialistischen Vergangenheit Interessierten“, aber ohne zentrale öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen Einfluß auf die Debatte gewinnen kann, bleibt offen. Angesichts der „steigenden Fieberkurve der Debatte“ (Thierse), ist die Vertagung des Forums auf September eher ein negatives Omen. Denn — so formuliert Gerd Poppe die paradoxe Entwicklung — das Urteil über die SED-Vergangenheit wird, trotz wachsender Information, eher pauschaler, das Ausmaß der Vernebelung immer größer.
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