Folk-Punk-Band Gogol Bordello: "Wir sind fucking Harlekine"
Der wilde Crossover von Gogol Bordello basiert auf russischen Trinkgewohnheiten, Zigeunerdiaspora und selbstgemachtem Punk.
BERLIN taz | Ihr Konzert in Berlin wurde zur surrealistischen Randale mit russischen Trinkgewohnheiten und einem Touch von asiatischen Sexshows. Alles schien möglich, bloß keine Ordnung. Das Publikum ergab sich Gogol Bordello schnell. Einige drehten sich wie Derwische, andere flogen über die Menschenmenge. Ein belebendes Tanzritual für sehr moderne, sehr verkrampfte und halb tote Seelen.
"Welcher Russe liebt nicht die Raserei?", heißt es beim Namenspatron der Band, Nikolai Gogol. "Wir sind fucking Harlekine, you know. Das ist der Sinn unserer Musik und unseres Lebens", erklärt der Frontman der Band, Eugene Hutz.
Die New York Times hält Hutz für den "charismatischsten Sänger seit Iggy Pop". Auf jeden Fall sind beide wild und meist oben ohne. Wenn man zu bilanzieren versucht, was aus der Musik von Gogol Bordello alles herauszuhören ist, dann kommt es zu einer Kettenreaktion des Absurden: Zigeuner-ukrainische-flamenco-georgische-tarantella-odessa-mama-punk-reggae-industrial-hassidic-elektro-Klänge. Und das ist noch nicht alles. Eugene - auf Russisch "Schenja" - nennt seinen Stil lakonisch "Zigeuner-Punk-Cabaret" und meint in gebrochenem Englisch: "in nur einer Kultur zu leben ist dasselbe, wie in einer Bar nur ein Getränk zu haben". Vielleicht wurzelt diese Sehnsucht nach Völkerverständigung in seiner sowjetischen Kindheit. Verwirklicht hat er sie erst in New York, im Mekka aller Emigranten.
Schenja, Jewgenij, Eugene. Gudz, Hütz, Hutz hat viele Namen. Ich würde ihn gerne Jim Knopf nennen. Sein ursprünglicher ukrainischer Name ist nämlich Jewgenij Gudz und "gudzik" bedeutet auf Ukrainisch "Knopf". Wie Jim Knopf zieht er mit seiner Band umher und besteht Abenteuer. "Let me out! Let me be gone!", heißt es in seinem Song "Wonderlust-King".
Sein dürrer Körper ist meist spärlich bekleidet: Untenrum trägt er eine grellblaue Jogginghose, der Oberkörper ist mit Amuletten behängt und ein Stirnband hält den Haarschopf zusammen. "Ich bin weggegangen und habe mein Vaterland berühmt gemacht. Was gibt es da noch zu erzählen?", so begrüßte er mich auf Russisch, nur das Wort "Vaterland" ("Batkiwstschina") sagte er auf Ukrainisch.
Schenja ist in der ukrainischen Kleinstadt Bojarka geboren. Dieser Datscha-Vorort von Kiew war im Ostblock berühmt. Dort spielt die Handlung eines der wichtigsten "Erziehungsromane" der sowjetischen Zeit: "Wie der Stahl gehärtet wurde" (1932) von Nikolai Ostrowski. Der Roman war Grundstein der sowjetischen Ideologie: Man musste hart, zielstrebig und zu Opfern bereit sein für das "Vaterland". Romantik auf sowjetisch. Als Schenja das Wort "Batkiwstschina" benutzte, ging es ihm nicht um diesen Sterbemythos, mit dem wir alle geimpft wurden. Seine Überlebensstrategie basiert vielmehr auf dem physiologischen Optimismus der Zigeuner und auf dem sprudelnden ukrainischen Humor.
"Ich kann natürlich über den wunderschönen Blick von den Kiewer Hügeln reden, aber eigentlich erinnere ich mich an verwahrloste Grundstücke hinter Garagen, neunstöckige unvollendete Baustellen und an die vollgepissten Aufzüge der Hochhäuser in unserem Bezirk." Als Schenja noch ein Kind war, sind seine Eltern nach Kiew umgezogen, um "vollwertige Mitglieder der Sowjetunion zu werden". Sein Vater hatte die beiden wichtigsten Berufe im Land der Informations- und Warendefizite: Er war Radiotechniker und Metzger. Ein Transistorempfänger spuckte Sender wie BBC World Service und Voice of America aus. Wie sonst hätte Schenja schon mit 14 wissen können, wer Iggy & the Stooges und Einstürzende Neubauten sind, damals, als selbst die Rolling Stones nicht im staatlichen sowjetischen Rundfunk ausgestrahlt werden durften. Und Fleisch konnte man immer gegen groovy Sachen wie Funkadelic eintauschen.
Mehr noch als der Vater prägte die Babuschka Schenjas Punkversion. Sie war Schneiderin und so hat auch Schenja irgendwann begonnen herumzuschnipseln. Seine ganze Familie kleidete sich ziemlich schräg, was er heute als "Ukrainian post-war Yohji Yamamoto look" bezeichnet.
Nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 ging seine Familie in ein Dorf in den Karpaten. Für Schenja war die Flucht in die Provinz ein Schock. Aber erst dort nahm er wahr, dass er zur weitverzweigten Familie der ukrainischen Zigeuner gehört. Hier wurde auf den Straßen musiziert und gefeiert: "Die Hochzeiten haben eine solch verrückte Intensität, wie man sie nicht einmal auf Heavy-Metal-Konzerten erlebt".
In den Karpaten mischen sich ungarische, rumänische, russische, ukrainische und Zigeunermusik. "Zigeuner pflegen einen leidenschaftlichen, beinahe urgeschichtlichen Umgang mit Musik. Das ist ihre Überlebensstrategie. In jeder Note klingt ein aufständischer rebellischer Geist." Daraus entwickelte Schenja seine musikalische "Knallmischung". Ein Kritiker spottete daher, seine Musik sei "die einzige positive Folge Tschernobyls".
Es folgten viele Wanderjahre durch Europa: Polen, Ungarn, Österreich und Italien. 1990 ging Schenja in die USA und landet in Vermont. Dort warteten die klassischen Einwanderer-Jobs: Autowaschen, Kloputzen bis hin zur Lieferung von Blumen für Begräbnisse.
1996 zieht Schenja nach New York und gründet mit geistesverwandten Musikern eine Band, die Zigeunermusik auf Hochzeiten spielt. Zuerst hieß die Band Bulgakow Bordello, wenig später benennen sie sich um in Gogol Bordello. "Weil Gogol in Amerika auch niemand kennt" - sagt Schenja. "Gogol ist pretty psyched." Logisch. Gogol, einer der wichtigsten russischen Schriftsteller, hat schon in seinem ersten Buch "Abende auf dem Gutshof bei Dikanka" die Ukraine besungen. Dabei vereinigte er Grusel und Humor, Lebenslust und Aberglaube, ukrainischen Stoff und feinste russische Sprache, bis ins Absurde übersteigert. Gogol war zeitlebens zwischen seiner Religiosität und seinem leidenden Körper zerrissen und er blieb bis zu seinem Tod "Jungfrau".
Der Bandname legt gerade dieses intime Detail offen - und schickt seinen Namenspatron ins Bordell. Das ist kein Spott, sondern ein etwas exzentrischer Versuch, Gogol sinnliche und irdische Lebensfreude zu schenken und diese mit seinen spirituellen Idealen zu versöhnen.
"Voi-La Intruder" (1999) hieß ganz programmatisch-autobiografisch ihr Debütalbum. Mit überfallartiger Energie erzählt Eugene Hutz darin auf Englisch mit starkem russischem Akzent tragikomische Geschichten über Staatenlose, Greencard-Ehemänner und Fremdgeher. 2002 erscheint das zweite Album "Multi Kontra Culti vs. Irony". Es brachte den Durchbruch. Alle bejubelten die Geburt eines neuen Stils, obwohl niemand so genau wusste, wie man ihn nennen sollte.
2005 folgten die Alben "East Infection" und "Gypsy Punks Underdog Worldstrike". Schenjas osteuropäischer Akzent wirkt dabei ironisch und erotisch zugleich. Auch früher haben Zigeuner russische Liebesromanzen mit einem bewusst gepflegten Akzent gesungen. Heute singt Gogol Bordello auf Englisch, diesem modernen Esperanto. Seinen Akzent hat Schenja zur Mode gemacht, und aus den Exilanten hat er den freien "Wanderlustigen" geschaffen.
Und dann interessierte sich auch noch Madonna für Zigeunermusik und hatte bald Gogol Bordello ins Auge gefasst. "Sie ist unglaublich fleißig", sagt Schenja voller Respekt. Durch Madonna hat sich Schenja, der eher zur New Yorker Punk-Szene gehört, in der Popkultur ganz nach oben katapultiert.
Bis heute reist er einmal im Jahr in die Karpaten, um für ein paar Tage mit anderen Zigeunern auf der Straße zu musizieren. Die karpatischen Dorffeste sind längst zu Trinkfesten in seinem musikalischen Global Village geworden. "No matter where are you exiled!" Er lebt jetzt dort, wo ihn niemand kennt, wo er mit den Maisverkäufern von der nächsten Straßenecke, seinen "Seelenverwandten", Bossanova spielen kann: in Rio de Janeiro. Das ist einer der wenigen Orte, an dem die Straßenfest-Kultur fester Teil des Alltags ist. "Karneval ist eine Explosion der Emotionen, in der alles Negative verbrannt wird. Es ist eigentlich eine coole Form der Religion."
Der Karneval ist der Traum aller Troubadoure. Gogol Bordello feiern mit ihrem radikalen Crossover ein ähnliches Ritual. Das gibt den entwurzelten "Opfern" globalisierter Großstädte die Chance, sich wieder "erden" zu können. Man muss sich schließlich von festem Grund abstoßen können, wenn man bis hoch zum Himmel springen will. Oder etwas einfacher von Schenja zusammengefasst: "Legalize me, realize me! Party!"
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