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■ Folk-Musik ist meistens nur EtikettenschwindelLächerliche Klischees

Die Folk-Musik ist ein Genre, dem jegliche Identität fehlt. Der Begriff umfaßt eine solche Bandbreite unterschiedlicher Stilrichtungen, daß er bedeutungslos geworden ist. Für manche umschreibt er weniger die Musik als vielmehr die Klischees, die ihrem Publikum anhaften: die verkrampfte Sandalen-und- Wollpullover-Brigade, die politisierten Vegetarier und die bärtigen Besserwisser, die mit dem Finger im Ohr Musikfachkenntnisse vorgaukeln. Für andere beschreibt der Begriff die rauflustigen, schmuddeligen und trunksüchtigen Emigranten. Die Musik läßt sich freilich nicht so leicht wie ihr Publikum in Kategorien einteilen.

Die westliche Kultur des 20. Jahrhunderts hat uns Werte wie Selbstsucht und Gier gelehrt. Wir haben keine Geduld mit Traditionen, die aus einem vergangenen, weniger materialistischen Zeitalter stammen. Wir hören uns die ethnischen Stammestänze aus Burundi auf einer Stereoanlage an, die soviel Geld gekostet hat, wie man benötigt, um ein ganzes burundisches Dorf einen Monat lang zu ernähren. Wir erfreuen uns an brasilianischem Samba, ohne einen Gedanken an die globalen Schäden zu verschwenden, die entstehen, wenn wir die Zerstörung des Regenwaldes zulassen. Genausowenig wie Klassik, Jazz, Pop oder Rock trägt Folk-Musik dazu bei, das Bewußtsein für unser Tun zu schärfen. Unser Beharren auf einfacher Reinheit bei der Klangwiedergabe ist völlig unnatürlich, weil es den teuren und komplexen Prozeß der digitalen Aufnahmetechnik erfordert, um selbst den einfachsten Instrumenten einen authentischen Klang zu verleihen.

Die einzige Musikart, die vollkommen ohne Blendwerk auskommt, ist die traditionelle Musik – die Stimme der ländlichen und urbanen Mehrheit, sei sie keltisch, europäisch oder afrikanisch. Leider ist sie von Leuten verfälscht und mit dem Etikett „Folk“ versehen worden, die damit Geld verdienen wollen. Es ist die irische Musik, die am meisten darunter leidet: Gruppen wie die Pogues haben einen jahrhundertealten Stil gekapert und geben ihn als eigenen aus. Auch wenn sie viele ausgezeichnete traditionelle Stücke wiederbelebt und neu arrangiert haben, sind die Pogues – außer Terry Woods allesamt Emigranten der zweiten Generation – nichts weiter als ein Schwindel: Sie geben sich als Iren aus, um dann ein Image als Trunkenbolde, Großmäuler und Widerlinge zu kolportieren.

Erst wenn man diese lächerlichen Klischees eliminiert und verhindert, daß die Musik auf diese Art in Schubladen eingeteilt wird, kann man mehr Menschen den Reichtum der taditionellen Weltmusik nahebringen. Cath Ranzetta

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