Flugrouten: Bürger wollen BBI-Pläne durchkreuzen
Weil Politiker und Planer beim Flughafenprojekt getrickst haben, kündigen Bürgerinitiativen Klagen an. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist möglich.
Gegner des Großflughafens träumen von einem Baustopp, andere sehen zumindest den Erhalt der Ruhe über ihren Köpfen als machbares Ziel: Das Bekanntwerden neuer Mauscheleien bei der Flughafenplanung gibt den Protestbürgern Auftrieb. "Auf das Oberverwaltungsgericht rollt eine Klagewelle zu", prophezeite am Dienstag der Sprecher des Bündnisses Berlin Brandenburg, Markus Peichl. Der Verein ist ein Zusammenschluss von Initiativen im Süden Berlins. Der Sprecher der Flughafengesellschaft, Ralf Kunkel, wiegelte ab: Die Betrugsvorwürfe von Bürgern würden das Projekt Berlin Brandenburg International (BBI) nicht kippen.
Zuvor hatte eine Bürgerinitiative herausgefunden, dass im Antrag auf Planfeststellung für den BBI zwei Seiten aus Briefen der Deutschen Flugsicherung (DFS) fehlen. In diesen Schreiben ging es um die 15-Grad-Regelung bei gleichzeitigen Starts und Landungen - jenes notwendige Abknicken, das den Proteststurm ausgelöst hat. Im Antrag für die Genehmigung des Flughafens wurde aus zwei Briefen einer gemacht, indem die erste Seite des einen und die zweite Seite des anderen Briefs übereinandergelegt wurden. Dadurch verschwand die Forderung, dass abknickende Routen in die Flughafenplanung eingehen müssen - ein entscheidender Satz.
Außerdem belegen Dokumente, dass die Flugrouten anders als bisher behauptet schon Ende der 90er Jahre als Problem erkannt wurden. Brandenburger und Berliner Politiker sollen eigens eine Arbeitsgruppe dazu eingerichtet haben. Doch die Flughafenplaner gingen später ausschließlich von parallelen Routen aus. Auch die Bevölkerung wurde in diesem Glauben gelassen. Erst im September hatten tausende Brandenburger und Berliner im Süden erfahren, dass die Flieger ihre Startbahnen auch über ihren Köpfen ziehen sollen.
Mehrere Bürgerinitiativen kündigten nun neue Klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig an. Aussagen des Gerichts vom Dienstag bekräftigten sie in ihrem Ansinnen: Das Planfeststellungsverfahren könne neu aufgenommen werden, wenn etwa Urkunden gefälscht wurden, erklärten die Richter. Klagen kann aber nur, wer schon im ursprünglichen Verfahren Kläger war. Bis Dienstagnachmittag war jedoch keine Klage eingegangen.
"Ich halte alles für möglich", sagte Initiativensprecher Peichl. Er betonte zugleich, dass sein Bündnis keinen Baustopp fordere, sondern einen gleichberechtigten Dialog zwischen Politikern und Bürgern über die Flugrouten. Flughafensprecher Kunkel warnte davor, aus dem "berechtigten Streit" über Flugrouten eine Debatte über den gesamten Flughafenbau zu machen. "Das wäre schlecht für die Region", so Kunkel. Er geht davon aus, dass sich die Manipulationsvorwürfe aufklären lassen.
Der Senat bewertete die Debatte als nebensächlich. "Es ist erstaunlich, mit welcher Vehemenz über zehn Jahre alte Briefe diskutiert wird", sagte Senatssprecher Richard Meng. Viel wichtiger sei, jetzt zu vernünftigen Flugrouten zu kommen.
Die Berliner Politspitze hat bislang behauptet, im September von den DFS-Routenvorschlägen überrascht gewesen zu sein. "Das glaube ich nicht mehr", sagte Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann. Er forderte von Regierungschef Klaus Wowereit (SPD) Akteneinsicht und stärkte den klagewilligen Bürgern den Rücken: "Es steht zu befürchten, dass auch das Bundesverwaltungsgericht sein Urteil auf einer verfälschten Tatsachengrundlage fällen musste."
Leser*innenkommentare
Thomas
Gast
Der Wowereit-Senat hat die Bürgerinnen und Bürger betrogen. Er hat damit die Demokratie ausgeschaltet. Wie sollen die Mitglieder des Abgeordnetenhauses entscheiden, wenn Sie nicht die ganze Wahrheit kennen?
Wie soll ein Gericht entscheiden, wenn es nur Teile der Wahrheit kennt?
Es ist schon ein Witz, dass Herr Wowereit everybody´s darling in Berlin ist - trotz des S-Bahn Chaos, trotz Wasserwerke, trotz Flughafen trotz der Gewalt in der Stadt.
Am Ende leidet die Demokratie. Erstaunlich ist, dass die Linkspartei alles mitmacht.
Petra Meier
Gast
Ihren Kommentar hier eingebenDie Flughafenplanungen zum BBI haben der bequemeren Mobilität der höheren Angestellten und des Easy-Jetsets die grössten Naturschutzgebiete Berlins geopfert, die vollständiger Verlärmung zum Opfer fallen werden. Wer sowohl den Gewässerzug der Reichen vom Tegeler See über den Wannsee bis in die Potsdamer Vororte im Westen als auch im Osten den Gewässerzug vom Müggelsee und Dämeritzsee bis nach Königs Wusterhausen kennt, weiss, dass die Landschaft im Osten wilder ist und ihre Flora und Fauna reichhaltiger sind. Diese Landschaft ist wie der Gewässerzug im Westen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, also ohne Auto und mit der üblichen Monatsmarke zu erreichen; anstelle von Schlössern finden sich im Osten Kleingartensiedlungen.
Die Initiativen gegen den BBI im Osten haben es leider nicht geschafft, ihren Protest in die Stadt zu tragen. Dies gelingt nun erst den Besserverdienenden aus den südwestlichen Bezirken, die mit Fluglärm konfrontiert werden könnten, der im Osten zuvor selbst von Anwohnern als vernachlässigenswert, „noch mal Glück gehabt“ eingestuft wurde, weniger, weil der Unterschied zwischen 10 Überflügen jenseits der Flugrouten an drei oder vier Tagen im Monat und derartigen Überflügen im Abstand weniger Minuten während 19 von 24 täglichen Stunden so schwer vorstellbar ist, sondern hauptsächlich, weil nicht vorstellbar ist, dass die auf dem Papier doch so umsichtigen Entscheidungsträger tatsächlich so weit weg sind, dass ihnen dieser ferne Osten egal ist.
Wer sich die Lektüre der Planungsbescheide und Gerichtsentscheidungen zum BBI antut und sie mit anderen Flughafenplanungen vergleicht, wird schnell feststellen, dass sämtliche Entscheidungsträger in Berlin offensichtlich weniger tief geschürft haben als anderswo.
Die berücksichtigten Fluglärmprognosen sind schlicht und einfach untauglich und gehen an der Realität völlig vorbei, weil sie ausblenden, dass in der Wirklichkeit jederzeit viel tiefer geflogen werden kann und wird als veranschlagt und die Flukorridore eine unscharfe Breite haben, die erhebliche Verschiebungen beinhalten, komischerweise regelmässig in Richtung der verdichteter bewohnten Gebiete. Die Zeichnungen der Flugrouten haben mit der Realität wenig zu tun. Schon wenn es gelänge, die gezeichneten Flugrouten und „eigentlich“ vorgeschriebenen Flughöhen zu erzwingen, wäre der geplante Flugbetrieb nicht durchführbar. Nur die politische Klasse Berlins ist parteienübergreifend so doof, nach Immobilienfonds, Wasser- und Energie- und S-Bahnprivatisierung einen neuen Grossflughafen an den Stadtrand zu bauen und damit eine weitere strenge Duftmarke zu setzen. Klar zahlen wir unsere wenigen Steuern auch gerne dafür, aber nur, wenn eine Investitionsruine draus wird. Wofür wir uns einsetzen werden. Sollten. How we meet?
Neues Leben – Autonome Kleingärtnerin Südost