Flüchtlingspolitik: "Die Beamten haben wild drauflosermittelt"
Die Einstellung von Ermittlungen gegen Flüchtlinge mit unklarer Herkunft ist überfällig, sagt Rechtsanwalt Jung.
taz: Herr Jung, Flüchtlinge, die falsche Angaben über ihre Herkunft gemacht haben, bekamen bisher kein Aufenthaltsrecht. Jetzt sollen sie bleiben dürfen, wenn sie ihre wahre Herkunft offenbaren und sich gut integriert haben. Wie erklären Sie sich diesen Sinneswandel von Innensenator Ehrhard Körting?
Rüdiger Jung: Die knallharte Linie, die von seiten des Senats und der Strafverfolgungsbehörden gegenüber Flüchtlingsfamilien gefahren wurde, war nicht durchzuhalten. Das hat auch in der Rechtsprechung Ausdruck gefunden.
Was genau haben die Gerichte festgestellt?
Das Kammergericht hat in zwei Entscheidungen festgestellt, dass der Vorwurf der Identitätstäuschung nicht aufrechtzuerhalten war. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass eine angebliche Identitätstäuschung nicht automatisch die Rücknahme der Einbürgerung rechtfertigt.
Welcher Personenkreis ist von der Neuregelung hauptsächlich betroffen?
Das betrifft in erster Linie die Mhallamiye-Kurden, die in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts die jetzige Türkei verlassen haben und in den Libanon geflüchtet sind.
Wie viele leben ungefähr in Berlin?
Mehrere tausend. Wie viele es genau sind, vermag ich nicht zu sagen. Die Mhallamiye-Kurden sind in den 80er-Jahren aufgrund des Bürgerkriegs im Libanon nach Berlin geflüchtet. Teilweise leben sie hier schon seit Jahrzehnten in der zweiten und dritten Generation. In den letzten Jahren waren sie nun damit konfrontiert, dass sie ausgewiesen werden sollten und mit Strafverfahren überzogen wurden. Das ist ein Gefühl, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen. Einige waren sogar schon deutsche Staatsbürger.
Und dann kommt eine Polizei-Ermittlungsgruppe namens "GE Ident" und sagt: Ihr habt die deutschen Behörden über eure wahre Identität belogen.
Die Gemeinsame Ermittlungsgruppe Ident wurde im November 2000 gegründet und hat wild drauflosermittelt. Die Beamten haben blind geglaubt, was ihnen die türkischen Behörden übermittelt haben. Es wurden ihnen türkische Register vorgelegt, die vorne und hinten nicht stimmten. Die Geburtsdaten der Kinder trafen nicht zu, die Namen waren falsch. Trotzdem erhob die GE Ident auf dieser Grundlage den Täuschungsvorwurf.
Die Ermittlungsgruppe Ident wird ja nun aufgelöst. Der Polizeipräsident Dieter Glietsch hat am Montag erklärt, die Ident sei damals ausschließlich gegründet worden, um die wahre Identität von Straftätern zu ermitteln, die sich als Libanonflüchtlinge ausgegeben haben.
Die GE Ident ist aus dem Ruder gelaufen. Sie hat nicht nur gegen Straftäter ermittelt. Völlig unbescholtene Leute sind mit dem Vorwurf konfrontiert worden, sie hätten über ihre Identität getäuscht. Damit hat die GE Ident die Straftäter erst produziert.
Müsste die Weisung von Innensenator Körting nicht auch für Afrikaflüchtlinge gelten, die beim Asylantrag falsche Angaben gemacht haben?
So ist es. Die Weisung datiert ja schon vom Mai 2008. Sie besagt, dass geduldete Ausländer, die ihre Identität nachweisen und sich gut integriert haben, eine Aufenthaltserlaubnis bekommen können.
Heißt das, alle Flüchtlinge, die früher einmal über ihre Identät getäuscht haben, können bleiben?
Nein. Bei den Gerichten sind noch viele Verfahren anhängig. Diese Menschen können sich überhaupt noch nicht in Sicherheit wiegen.
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