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Aus taz FUTURZWEI

Florian Schroeder über Moralismus Die Religion der Narzissten

Der Satiriker Florian Schroeder über seinen Kampf gegen den großen Trend der Zeit – das Verlangen nach Eindeutigkeit.

»Ich kenne keinen Wokie-Witz«: Satiriker Florian Schroeder Foto: Anja Weber

taz FUTURZWEI: Lieber Florian Schroeder, erzählen Sie uns doch bitte mal Ihren schönsten Wokie-Witz.

»Dieser unsägliche Moralismus ist nur die Religion der Narzissten.«

Florian Schroeder

Florian Schroeder: Ich kenne keinen Wokie-Witz.

Feigling.

Nein. Kein guter Komiker kann Witze erzählen. Komiker erzählen keine Witze, sondern Pointen. Das ist ein Unterschied.

In Ihrem Buch »Schluss mit der Meinungsfreiheit« kritisieren Sie neben rassistischen Frauen- und Minderheitenhassern auch das »oft inquisitorische Denken« der Wokies. Diese meist jüngeren Leute formulieren sehr berechtigte Gerechtigkeitsansprüche von gesellschaftlich benachteiligten Gruppen, denen sie in der Regel selbst angehören. Was ist das Problem?

FLORIAN SCHROEDER

Der Mann: Satiriker, Autor, Hörfunk- und Fernsehmoderator (Die Florian Schroeder Satireshow in der ARD). Geboren 1979 in Lörrach, Baden-Württemberg. Lebt in Berlin.

Das Werk (u. a.):

Schluss mit der Meinungsfreiheit! Für mehr Hirn und weniger Hysterie. dtv 2021 – 367 Seiten, 16 Euro

Ansprache auf Anti-Coronapolitik-Demo in Stuttgart im August 2020. Publikum hielt ihn zunächst für einen der ihren, bis er ihnen die Meinung geigte.

Aktuelle Termine:

- Bühne: Derzeit auf Tour mit dem Jahresrückblick Schluss jetzt! und dem neuen Programm Neustart (Termine unter florian-schroeder.com)

- Fernsehen: Die Florian Schroeder Satireshow (16. und 23. Dezember, ARD)

Zunächst mal muss man sagen, dass es keine linke, woke Person gibt, die einen Politiker wie Walter Lübcke erschossen oder Terroranschläge auf Synagogen verübt hat. Die singuläre Bedrohung des Rechtsextremismus ist nicht relativierbar. Was mich an den radikalisierten Wokies so stört, ist, dass sie im Namen der Gleichheit für Segregation sorgen: Sie wollen Rassismus abschaffen und machen die Hautfarbe des Sprechers zum entscheidenden Merkmal, ob er mitreden darf oder nicht. Dazu kommt die gefährliche Tendenz, alle vom Gespräch auszuschließen, die nicht dem eigenen Weltbild entsprechen. Sie wollen erwacht sein, sind aber doch verdammt nah am Wachtturm.

Der Wachtturm ist die Zeitschrift der Sekte Jehovas Zeugen.

Ich glaube, es handelt sich tatsächlich um eine neo-trivial-religiöse Erweckungsbewegung mit häufig sektenhaften Zügen. Ich kann mir vorstellen: Wenn man dazugehört, ist es drin wahrscheinlich sehr angenehm. Wie bei allen Ideologien, die den darin Gefangenen den überlebenswichtigen Vorteil bieten, sich für frei zu halten. Dieses flauschig-rosa Plüschhafte »Wir sind uns alle einig, dass die anderen die Bösen sind«. Mehr kann man im Leben eigentlich gar nicht erreichen.

Allerdings war das beim Stalinismus auch so, und dennoch musste man aufpassen, dass man nicht irgendwann selbst von der neusten Regel überholt und abserviert wurde.

Stimmt. Man muss die Welle schon reiten und wach auf der Höhe sein. Das ist der Preis der Gemütlichkeit, die nur Identität bietet. Wobei ich den Stalinismus-Vergleich schwierig finde. Das ist ein Totschlag-Argument, das uns nicht weiterbringt. Das ist die Nazi-Keule von der anderen Seite. Man spielt letztlich das Spiel derer, die man angreifen will, akzeptiert die Regeln, zahlt auf ihr Konto ein und richtet sich in den Schützengräben ein, statt den nächsten Schritt zu gehen.

Unlängst begannen Sie eine Show mit dem Satz: Willkommen beim Evangelischen Kirchentag der Unterhaltungsindustrie, dem Kabarett. Das ist die Bestandsaufnahme der Satire zum Beginn des Jahres 2022?

Das war natürlich selbstironisch, aber letztlich trifft es die Gemengelage schon.

Ist das ein Kommentar auf die grassierende Moralisierung der Satire?

Klar. Im Evangelischen Kirchentag steckt ja genau diese biedere, zur Schau gestellte Betroffenheit. Diese volkstümliche Anklage, die sich doch nur selbst feiert in der Überzeugung, nicht auf der Anklagebank zu sitzen. Und das hat mein Genre im Moment sehr stark, genau wie viele andere Künste. Ich schließe mich hier übrigens ein. Die moralische Überlegenheit und Selbsterhöhung, die vor allem sich selbst dafür applaudiert, dass man auf der richtigen Seite steht. Das ist am Ende selbstgefällig und wenig spannend.

In Ihrem Buch merkt man, dass Sie unter der Ambivalenz-Unfähigkeit der Zeit leiden. Das trifft nicht nur auf das Genre der Satire zu, sondern ist eine generelle kulturelle Regression. Worauf ist dieser Wunsch nach Eindeutigkeit zurückzuführen?

Nach meiner Auffassung folgt das aus der massiven psychologischen Verirrung in den Jahren nach 1989: Damals herrschte zunächst der Eindruck, wir stehen hier auf der Siegerseite der Geschichte. Der Kapitalismus hat gesiegt. Die liberale Demokratie hat gesiegt. Das war dieser 90er-Jahre Spirit: Die Musik immer schlimmer, kapitale Verbrechen wie Whigfield und Mr. President als Speerspitze der gefeierten Geschmacklosigkeit, aber ansonsten lebte man so fröhlich vor sich hin. Anything goes, Postmoderne-alles-irgendwie-happy-hier. Um dann mit dem 11. September 2001 zu sehen: Verdammt, es ist doch nicht so einfach, es gibt wieder einen Feind, den Islamisten, wir müssen uns positionieren. In der Folge die Finanzkrise, die sogenannte Flüchtlingskrise und am Ende natürlich auch Corona. Die Einschüsse kamen näher, die Scholle wurde brüchig. Das sind psychologische Verunsicherungen, die zur Installierung von Trutzburgen führen.

Meint?

»Im Zeitalter des Bekenntniszwangs hat die Ironie schlechte Karten«: Satiriker Schroeder in Berlin Foto: Anja Weber

Wenn schon alles um mich herum unsicher ist und man nicht mehr klar festlegen kann, was gut und böse ist, richtig und falsch, dann muss wenigstens meine Welt, die ich mir baue, klar sein und eindeutig. Das scheint mir nun die Gegentendenz zu sein: Die Verabsolutierung der eigenen Position und der Versuch, so die Kontrolle zu bewahren.

Das funktioniert aber nicht?

Wir leben im Zeitalter eines gefühlten Kontrollverlusts, was den Versuch der totalen Selbstkontrolle wachruft. Das geht einher mit einer Selbstvergöttlichung im Zuge des Bedeutungsverlusts der Religionen und Kirchen. Alles, was größer war als wir selbst, was Heimat geben konnte, fiel nach 1989 innerhalb kürzester Zeit in sich zusammen. Zusätzlich kamen die Digitalisierung und das Internet, die noch mehr Verunsicherung bringen, weil eine noch viel größere Skala an Nicht-Eindeutigkeiten alltäglich wurde. Die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge, Fakten und Fiktion verschwimmen nahezu komplett. Das alles mündet in dem Versuch, eine Eindeutigkeit und Unzweifelhaftigkeit wiederherzustellen.

Wo führt das alles hin?

Das führt im schlimmsten Fall zu einer weiteren Barbarisierung der Gesellschaft. Also zu dem, was ja auch im rechten Feld schon stattfindet: Aus Worten werden Taten. Die Radikalisierung, die vor allem im Netz stattfindet, wird auf die Straße getragen – Hanau, Halle, Christchurch und so weiter. Das ist die negativste Ausprägung, der völlige Abbruch jedes Gesprächs.

Gibt's auch eine positive Perspektive?

Der optimistische Teil wäre, dass wir in einer herausfordernden Übergangszeit leben, in der sich sehr viele Menschen mit der Technologie Internet und insbesondere den sozialen Medien fremdelnd gegenüberstehen. Die Jüngeren sind da naturgemäß weiter als die Älteren. Und dass sich das beruhigen wird mit nachfolgenden Generationen, die mit dem Medium souveräner umgehen können und so manch einen überflüssigen Bullshit einfach ignorieren, dem wir heute noch hinterherlaufen. Für dieses Argument würde auch sprechen, dass die Lager, die wir haben, also die rechtsidentitären Märtyrer und die linksidentitären Inquisitoren, Chronisten einer Übergangszeit sind, wie es sie immer wieder gab.

Wer sind die Märtyrer?

Das ist überwiegend die männlich geprägte ältere Generation, die das Gefühl hat, sie verliere alles, wenn die neuen Verhaltensregeln gelten. Man erkennt diese Leute daran, dass sie glauben, nichts mehr sagen zu dürfen. Sie erregen sich dann leidenschaftlich über Gendersternchen, Schnitzel und N-Wörter, die sie laut rausblöken wollen wie früher. Sie kommen schwer damit klar, worum es heute geht: Dass Menschen, die nicht binären Geschlechts sind, eine andere Hautfarbe haben etc. endlich gleichberechtigt am Tisch sitzen sollen und dass das Veränderung bedeutet. Ein radikaler Teil dieser selbsternannten Progressiven aber, die dafür sorgen wollen, schließen sich als Inquisitoren selbst aus, indem sie den Feind – den Märtyrer – als moralisch unrein definieren und die Regeln festlegen wollen, wer in welcher Weise worüber sprechen darf. Das ist selbst reaktionär und schafft neue Unterschiede statt neuer Gemeinsamkeiten.

Worauf es erst richtig kracht.

Daraus entsteht das aufgeregte Geschrei beider Seiten: auf der einen Seite das Gefühl, einen Statusverlust zu erleiden, und auf der anderen Seite eine junge Generation, die umso aggressiver etwas einfordert, was berechtigt ist, aber in seiner Übertreibung ins Gegenteil umschlägt, nämlich in neuen Separatismus.

Wer hält jetzt das Ganze zusammen?

Das kann im Grunde nur von überzeugenden, schlauen Menschen kommen, die sich gesellschaftlich engagieren.

Kein Witz jetzt?

Ich glaube tatsächlich, dass die gesellschaftliche Rolle von Intellektuellen – das ist ein bescheuerter Begriff – sagen wir besser: von Figuren, die Orientierung geben können, derzeit zu gering ist. Ich glaube, dass wir eine andere Debatte hätten, wenn es mehr Leute gäbe, die sich mutig einschalten würden und versuchen würden, den Diskurs mitzubestimmen.

Sie selbst wurden in diesem Jahr von einem woken Shitstorm durchgeschüttelt. Bei Ihrem Podcast mit dem Kollegen Serdar Somuncu überspitzte er Frauenfeindlichkeit, um sie satirisch zu kritisieren, worauf er der Frauenfeindlichkeit angeklagt wurde und sie der Mittäterschaft, weil Sie lachten. Ihr Lachen stellte für die Empörten eine Straftat dar, die am Ende in eine öffentlich-rechtliche Entschuldigung mündete. Satire und Humor sollen eindeutig sein, da dürfen keine Restzweifel aufkommen.

Sie soll am besten moralisch rein sein, deshalb ist sie ja auch oft so belehrend, anklagend. Das ist der Preis der Selbstversicherung, gut zu sein. Eindeutigkeit verhindert jede Form von Reibung, Irritation und damit auch jede produktive Auseinandersetzung. Auch mit sich selbst. Das scheint mir im Moment das Wichtigste zu sein, dass alles gefahrlos ist, Leben im abgesicherten Modus. Risikolos, in der Mitte der Fahrbahn. Das führt zu einer Starre und Unbeweglichkeit, die mit Unangreifbarkeit verwechselt wird. Nach meiner Wahrnehmung leben wir in einer gelähmten Gesellschaft, die darauf hofft, keinen Fehler zu machen, nichts Falsches zu sagen, nichts Falsches zu glauben, niemand Falschem hinterherzulaufen und wahrscheinlich im nächsten Schritt auch, nichts Falsches zu denken.

Es darf nur noch korrekt gelacht werden. Das ist die Forderung?

Ja, anständig darf gelacht werden. Und das geht nicht. Hier gilt der alte Grundsatz von Robert Gernhardt: Es gibt kein niveauvolles Lachen, denn Lachen ist wie ein Orgasmus. Es gibt ja auch keinen niveauvollen Orgasmus, er passiert einfach. Oder er passiert nicht.

»Es gibt kein niveauvolles Lachen, denn Lachen ist wie ein Orgasmus. Es passiert einfach. Oder es passiert nicht.«

Florian Schroeder

Wir haben jetzt auch Tafel-Satire. Der Satiriker – etwa im ZDF-Belehrungsformat Die Anstalt – steht wie ein Dozent vor einer Info-Tafel und erklärt Gut und Böse.

Dass Satire versucht, etwas aufzuzeigen, auch mit journalistischen Mitteln, finde ich prinzipiell gut. Und dass Satire ins Zentrum der Debatte gerückt ist, ist wunderbar für mich. Anstrengend wird es, wenn ich auf Twitter Bekundungen lese, dass endlich mal wieder jemand in einer Satiresendung sagt, wie furchtbar schlimm wir alle sind. Diese »verlogenen Augen der Scham und Andacht« (Nietzsche) auf 280 Zeichen. Für mich ist also das Problem nicht Informationsvermittlung mit Haltung, sondern moralinsaure Informationsvermittlung, die Anklage mit Haltung verwechselt.

Die Nachfrage nach Moralismus, also der Verabsolutierung der eigenen Positionen, ist groß.

Das ist das Grundproblem, das im Moment allem zugrunde liegt. Dieser unsägliche Moralismus, der immer glaubt, recht zu haben, aber im Kern letztlich nur die Religion der Narzissten ist. Ich bin der Auffassung: Wir müssen die Moral überwinden, um wieder Menschen zu werden.

Ist denn Satire tatsächlich ins Zentrum der Debatte gerückt, wie Sie behaupten?

Auf jeden Fall. In den ersten Jahren, als Merkel Kanzlerin wurde, kann ich mich an keinen größeren Satire-Skandal erinnern, nichts. In den vergangenen Jahren kam einer nach dem anderen. Das Oma-Umweltsau-Lied, Dieter Nuhr, Lisa Eckhart, Dave Chapelle, plötzlich wird wieder über Satire debattiert.

Ist das vieldiskutierte Satirestück von Lisa Eckhart über Juden, die Frauen missbrauchen, antisemitisch?

Nein. Diese Interpretation halte ich für falsch und banausenhaft. Was der Text macht, ist zu sagen: Bei #metoo ist mit Harvey Weinstein ein Jude Täter geworden. Wir hatten Juden aber doch immer auf dem Opferticket. Da kommt man ja ganz durcheinander zwischen den Opfern und den Tätern. Das ist eine vollkommen luzide und richtige Beschreibung unseres Problems, dass wir die Welt manichäisch einteilen und nur noch Täter und Opfer kennen, die uns bitte den Gefallen tun mögen, genau das zu bleiben. Sonst müssten wir am Ende noch nachdenken, Gott behüte uns! Die Vorstellung, dass Opfer und Täter die Fronten immer wieder wechseln und die Welt eben nicht eindeutig ist, kommt nicht mehr vor. Und genau diese eindeutigen Zuschreibungen werden in der Nummer ausgehebelt.

Die Aufregung war groß.

Dass sich dann genau die aufregen, die eben nur Täter und Opfer kennen, ist symptomatisch und spricht am Ende für den Text.

»Dass sich dann genau die über Lisa Eckhart aufregen, die eben nur Täter und Opfer kennen, ist symptomatisch und spricht am Ende für den Text.«

Florian Schroeder

Aber als Folge der Empörung wird sich jeder Satiriker genau überlegen, ob er so eine Opfer-Täter-Irritation wagt oder sicherheitshalber lieber Nazis verurteilt.

Es wird dadurch sicher eine größere Vorsicht geben, das kann schon sein. Ich würde aber immer sagen: Wer einen künstlerischen Impuls hat und wem Themen auf der Seele brennen, der wird am Ende auch die richtigen Worte dafür finden. Und dann wird es eben wieder einen kurzen Skandal geben. Es ist Teil des künstlerischen Feuers, dass man gewisse Dinge ausdrücken muss und manchmal auch über Grenzen geht. Man muss allerdings auch in der Lage sein zu sagen: Ja, da habe ich Mist gebaut.

Gerhard Polts legendäres Mai-Ling-Stück wurde auch unter Rassismus-Verdacht gestellt. Polt spielt da einen mittelalten Mann, der sich eine asiatische Frau gekauft hat und nun seinen Kauf beurteilt. Ist das rassistisch?

Nein, natürlich nicht. Die Abgründigkeit und höchste Form der Kunst liegt darin, einen Rassisten dabei zu zeigen, wie er sich rassistisch äußert, und zwar in einer ganz biederen Art und Weise. Das ist ja das eigentlich Gefährliche, dieser biedere Alltagsrassismus, etwa zu sagen: »Sie ist ein bisserl gelb angekommen ... «

» ... aber das passt gut zum Mobiliar ... «

»Moral führt immer in die Barbarei«: Florian Schroeder Foto: Anja Weber

» ... und sie ist sehr sauber und schmutzt nicht.« Das sind ja genau die Alltags-Schweine, die wir heute auch ständig erleben. Diese Form ist deshalb hohe Kunst, weil sie so amoralisch ist und genau darin zutiefst ethisch, weil sie genau aufzeigt, wie gefährlich diese Wohnzimmer-Rassisten sind, ohne sie zu verharmlosen, aber auch ohne Moralkeule.

Da der wache Mensch eins zu eins liest und hört, wird er sagen: Du tust zwar so, als würdest du darüber lachen, dass ein Rassist entlarvt wird, aber in Wahrheit lachst du affirmativ, weil du nämlich auch ein Rassist in einem zutiefst rassistischen Mainstream bist.

Das halte ich nicht für zutreffend. Rassismus ist eines der Hauptprobleme unserer Gesellschaft, das ist überhaupt keine Frage. Aber ich halte es doch für unterkomplex zu unterstellen, dass im Fall des Polt-Sketches der Rassist als Teil einer rassistischen Gesellschaft über seine eigenen Rassismen lacht. Es wird sicher Menschen geben, die das nicht verstehen und sagen: Genau so sind die Asiaten. Aber die werden nicht dadurch mehr, dass ein Komiker diese Nummer macht. Und allen anderen möchte ich doch zutrauen, dass sie das sehr wohl zu unterscheiden wissen. Sonst würde man die Gesellschaft als Ganzes als unterkomplexe Gemeinschaft verstehen, die nicht mehr in der Lage ist, Anführungszeichen zu lesen. Dann bräuchten wir einen totalitären Staat, um diese unmündige Truppe in Schach zu halten. Und dagegen wehre ich mich massiv.

Wer nach einer Vorrede »aber« sagt, entlarvt sich angeblich auch schon als Nazi.

Es gibt auch genügend Fälle, die genau das beweisen. Wenn ich schon Grund habe zu sagen, ich bin ja kein Nazi, aber ..., dann bin ich meistens einer. Die Diagnose ist treffend. Ich würde sagen, 90 Prozent der Aussagen hinter diesem Satz sind schlicht rassistisch und kommen aus der Nazi-Welt. Ansonsten muss ich das gar nicht voranstellen.

Im Grunde genommen steht hinter den Einzelempörungen das Problem, dass die Fähigkeit zu Distanz und Interpretation am Schwinden ist, die Menschheitserrungenschaft der Ironie und Rollendistanz verschwindet, die Fähigkeit mehrere Aussagen in einem Satz zu machen. Die woke Formel lautet: Es gibt keine Ironie, kein Zitieren, nichts Doppelbödiges – er hat ein böses Wort gesagt, etwa das N-Wort, also weg mit ihm.

Deutschland war immer ein Land mit maximaler Ironie-Unfähigkeit. Im Moment wird es noch schwerer, weil die Eindeutigkeit so den Raum besetzt. Aber die multiperspektivische Interpretierbarkeit – wie meint er das jetzt? – passt natürlich überhaupt nicht in ein Zeitalter der Meinungskriege. Die Ironie entzieht sich – sie macht sich unangreifbar – sie könnte es so meinen oder auch anders. Das macht sie angenehm antibesserwisserisch. Ihre dunkle Seite ist die Feigheit vor Positionsbestimmung. Im Zeitalter des Bekenntniszwangs hat die Ironie schlechte Karten.

Jetzt haben wir das Verhängnis der moralischen Eindeutigkeit, andererseits geht das über allem Schwebende Scheißegal-Dings der 90er-Jahre nicht mehr. Der Mut zur moralischen Aussage ist also angesichts der Verhältnisse durchaus wünschenswert, die Frage ist aber: Gibt es eine aufgeklärte Form von Moralität?

Ja, auf jeden Fall. Die Ethik. Ich weiß, dass das jetzt eine Zuspitzung ist, aber ich sage: Moral ist radikal abzulehnen, und zwar in jeder Hinsicht. Moral ist immer fatal, weil Moral immer privatistisch und letztlich pädagogisch dogmatisch ist. Ich kann als Moralist sagen: Ich finde es widerlich, dass hier Männer mit Männern ins Bett gehen dürfen. Das ist wider meine Moral. Ich kann es nicht sehen. Es dient nicht der Fortpflanzung. Was auch immer. Mit Moral lässt sich alles begründen. Und das ist ihr großes Problem. Ich kann eine katholische Moral haben, eine private Moral, ...

... eine Nazi-Moral

Genau, alles wird plötzlich richtig. Moral führt immer in die Barbarei.

Was folgt daraus?

Die Illiberalität einer Gesellschaft lässt sich daran zeigen, wie viel Moral-Überschuss sie produziert, und inwieweit sie das Recht hinter die Moral stellt. Insofern sind wir auf einem besorgniserregend illiberalen Niveau angekommen. Deswegen würde ich immer für Ethik sprechen, weil Ethik sich ja ausschließlich für die Fragen interessiert: Ist etwas fair, ist es unfair? Ist es gerecht? Ist es ungerecht? Ist es verallgemeinerbar oder nicht? Und deswegen fehlt mir die Ethik in der ganzen Debatte, deren Aufgabe es ist, vor der Moral zu warnen, wie Niklas Luhmann es einmal so treffend formulierte.

»Die Illiberalität einer Gesellschaft lässt sich daran zeigen, wie viel Moral-Überschuss sie produziert.«

Florian Schroeder

Eine These Ihres Buches ist, dass die Bewertungsmaßstäbe von Politik und Kunst sich umgedreht haben. Was heißt das?

Nach meiner Wahrnehmung wird der Künstler heute bewertet wie ein Politiker. Das halte ich für ein großes Problem. Der Künstler muss jetzt aufrecht, rechtschaffen, ehrlich, korrekt sein. Aber Kunst ist ja Freiheit, Provokation, Exzess, Übertreibung. Umgekehrt wird in der Politik jeder, der über eine Grenze geht, gefeiert. Nehmen Sie Boris Palmer.

Also, in Grünen Milieus wird der selten gefeiert.

Das ist mir klar. Aber es ist doch wesentlich mehr sagbar geworden innerhalb der Politik, ohne dass es große Konsequenzen hat. Politiker entschuldigen sich oder auch nicht und machen einfach weiter, während Künstler reihenweise die Namen ändern, sich zurückziehen, sich in den Staub werfen und sagen: Nie wieder, es tut mir alles so leid, es ist nicht verzeihbar. Statt die Autonomie der Kunst zu nutzen und zu sagen: »Ich bin Künstler und meine Arbeit folgt anderen, freieren Regeln«.

Florian Schroeder in Berlin Foto: Anja Weber

Weil?

Weil die Kunst dadurch droht, zu verbiedern. Sie tut dann das, was die Politik tun müsste. Aufbau statt Abriss, dafür statt dagegen, Synthese statt Analyse, Biedermeier statt Ekstase, Wasser statt Whiskey, Makramee statt Marihuana. Die Gefahr, dass man da auf der abschüssigen Rampe Richtung Langeweile unterwegs ist, ist sehr groß.

Das Parteiausschlussverfahren gegen Palmer gründet aber genau auf dem, worüber wir reden. Die Vieldeutigkeit und Multidimensionalität von Sprache wird ignoriert und auf die Eindeutigkeit eines auf Facebook benutzten Wortes reduziert, hier eines sogenannten N-Wortes.

Das zeigt das grundsätzliche Problem. Wir sind in einem neuen Medium, in sozialen Netzwerken wie Facebook, suchen dort nach Eindeutigkeit und sind nicht in der Lage wahrzunehmen, wer was in welchem Zusammenhang eigentlich wirklich gesagt hat.

Es gibt einen Linken-Typus, der Ironie immer gehasst hat. Auch schon zu Harald Schmidts Zeiten. Im Gegensatz zum SPD-Kabarett von Hildebrandt war diesem Typus Schmidt nicht eindeutig genug, seine Ironie galt als Affirmation eines Kapitalisten-Knechts.

Ideologen hassen Ironie. Und je ideologischer Menschen sind und je sicherer sie sich sein möchten, ihrer eigenen Position und der Ecke, in der sie stehen, desto mehr verlangen sie nach Eindeutigkeit und desto mehr müssen sie alles dazwischen ablehnen.

Das berühmte Zitat des Pulp-Sängers Jarvis Cocker, dass die Ironiehasser seit zwanzig Jahren zitieren, lautet: »Irony is over«.

Das ist der ironischste Satz von allen.

Aber die Frage bleibt doch: Wie soll ich verstörende, irritierende, kontroverse Kunst machen, wenn ich eins zu eins für das, was ich aufführen möchte, als Privatperson in Haftung genommen werde?

Indem ich es erst recht tue und mich anschließend der Diskussion stelle – mit sportlichem Ehrgeiz.

Wenn Sie heute einen Nazi im Remake von »Casablanca« spielten, würden ganz Wache fordern, dass man sie in Nürnberg aburteilt.

Das ist problemträchtig, dass die Kunst als Kunstraum immer weniger wahrgenommen wird, sondern als eine Art Verkleidung, damit der Künstler mal sagen kann, was er wirklich denkt. All das lebt von einer Unterstellung und einem Verdacht, einem derart düsteren Menschenbild, dass mir übel wird.

Wie schlimm steht es denn nun?

Dies Verabsolutierung wird noch eine ganze Weile zu einer weiteren Radikalisierung beitragen und zu einer wachsenden Intoleranz und zu einem wachsenden diskursiven Hauen und Stechen. Es wird sich so schnell nicht entspannen, weil zu viele Leute, auch in den Medien, leider ein zu großes Interesse daran haben, dass das nicht abnimmt.

Die Union in der Opposition, neue starke Medien, etwa Bild-TV, die die Polarisierung betreiben, klassische linksliberale Medien, die zum Wohle der Demokratie und der eigenen Erlöse ebenfalls auf Lagermedium schalten, das könnte unangenehm werden.

Ja, da neige ich auch eher zum Pessimismus. Diese ganze Fox-Newsisierung und RTL-Deutschisierung, die Aufstachelung wird zunehmen, und es wird schlimmer werden.

Interview: PETER UNFRIED und HARALD WELZER

Dieser Beitrag ist in taz FUTURZWEI N°19 erschienen.