piwik no script img

Flohmärkte in TunesienLuxus aus der Altkleiderspende

Die Kleider aus Spenden und alten Lagerbeständen sind längst nicht mehr Hilfe für Arme und Bedürftige. Heute wühlen finanzstarke Kundinnen in Kleiderbergen auf Plastikplanen.

Flohmarkt auf Djerba Bild: Catlovers/pixelio.de

Ich gehöre zu denen, die gern und regelmäßig zur „Fripe“ gehen – zu einem jener Textilflohmärkte, die sich am Rande von Wochenmärkten und Souks flächendeckend etabliert haben: ob in Tunis, an der Küste, auf Djerba oder im Landesinneren. „Früher bestand meine Kundschaft fast nur aus Leuten mit wenig Geld“, erzählt Lotfi, der auf dem bekannten Altkleidermarkt Hafsia, mitten in der Medina von Tunis, über mehrere Verkaufstische wacht. Dass man die Familie auf der Fripe einkleidete, zeigte man nicht gern, daran klebte der Makel der Bedürftigkeit. „Die Zeiten haben sich geändert“, sagt der Händler, „ein Teil meiner heutigen Kundinnen hat es finanziell nicht nötig, hier zu kaufen. Die kommen, weil sie nach einem schicken Kleid, einem ausgefallenen Rock, allen möglichen Markenartikeln suchen.“

Das Negativimage der Altkleidermärkte ist auch in Tunesien längst vorbei. Im bürgerlichen La Marsa (Küstenvorort von Tunis) ist es inzwischen in, am Sonntagmorgen einen Abstecher zur Fripe zu machen. „Zusammen macht das echt Spaß“, lacht die Gymnasiastin Meriem, die gerade ein groß geblümtes Sommerkleid mit Spaghettiträgern begutachtet, „und mit ein bisschen Glück findest du auch etwas, was in der Schule sonst niemand trägt.“

Auf dem weitläufigen Platz, der sengenden Julisonne preisgegeben, herrscht ab dem frühen Morgen Betrieb. Unüberschaubar die Zahl der teils überdachten Wühltische mit sortierten Waren. „Blusen, neue Lieferung, 5 Dinar, Dreiviertel-Sommerhosen 3 Dinar, T-Shirts 2 Dinar“, dröhnen die Stimmen der Verkäufer, allenthalben Klamotten aus H&M-Lagerbeständen auf den frisch bestückten Warentischen, potenzielle Käuferinnen, dicht an dicht gedrängt, grapschen in die bunten Kleiderhaufen. „Selbst Touristen kommen jetzt hierher“, höre ich manchmal auf Arabisch und spüre verstohlene Blicke in meine Richtung.

Der Handel mit Secondhand-Ware ist ein florierendes Gewerbe. Er ist gut organisiert und schafft Arbeitsmöglichkeiten vor Ort. Nach Schätzungen soll dieser Verkaufszweig inzwischen mehr als 10 Prozent des tunesischen Bekleidungsmarktes ausmachen. Für die heimische Textilproduktion eine Konkurrenz, mit der zu rechnen ist. Vorwiegend in Europa und den USA kaufen die tunesischen Importeure ein; die Textilien stammen aus der Vermarktung von Altkleiderspenden sowie der saisonalen Liquidierung von Lagerbeständen verschiedener Bekleidungshersteller und großer Ladenketten wie H&M, Benetton, Esprit, Vero Moda, Sisley, Zara etc.

Die Verteilung der Fripe-Importe in den 24 Regierungsbezirken Tunesiens erfolgt nach Quoten und wird von der nationalen Kammer der Fripe-Grossisten geregelt. In speziellen Hallen bzw. Fabriken werden die importierten Kleidermassen nach Art und Qualität (Luxusprodukt, mittlere Qualität, Ausschuss) sortiert und in Ballen von etwa 40 bis 45 kg verpackt. Der Preis pro Ballen variiert je nach Inhalt zwischen 40 und 200 Dinar (knapp 2 Dinar = 1 Euro); für einen Ballen mit 150 bis 200 Männerhemden beispielsweise muss der Einzelhändler bis zu 200 Dinar hinlegen, ein Ballen mit Luxusware (Marken-Jeans u. Ä.) kann bis zu 300 Dinar kosten. Als letztes Glied in der Verkaufskette treten zahllose Einzel- und Kleinhändler auf den Plan, die die Ware auf den Fripe-Märkten verkaufen und dabei den Stückpreis selbst bestimmen.

Mit der wachsenden Nachfrage haben die Preise für Qualitätsschnäppchen in den letzten Jahren angezogen. Ein Sommerkleid ist zwischen 3 und 15 Dinar zu haben, Männerhemden kosten im Schnitt zwischen 5 und 12 Dinar, Blusen und T-Shirts zwischen 3 und 5, Markenjeans und Jacken inzwischen bis zu 25 Dinar. Im Umkreis der Marktviertel finden sich hie und da garagenähnliche Verkaufsräume, wo manch ein Händler mit „Fripe de Luxe“, gebügelt und auf Kleiderständern zur Schau gestellt, sein Geld verdient.

In Tunis soll es sogar Boutiquen geben, die im Auftrag dieser oder jener Kundin die Fripemärkte der Umgebung nach signierten Designerstücken abgrasen oder schon vor der Sortierung in Ballen teure Marken aus den Kleidermassen angeln.

Zwei Kellner in der Medina von Sousse Bild: dpa

Wühle ich in den auf klapprigen Tischen oder Plastikplanen zu ebener Erde aufgetürmten Kleiderhaufen, verflüchtigt sich die Wirklichkeit um mich herum. Während meine Hände und Augen einen Wühltisch nach dem anderen gierig durchpflügen, ist meine Existenz nichts als konzentrierte Anspannung, fieberhafte Erwartung, auf ein extravagantes Kleidungsstück zu stoßen oder teure Designerware für ein paar Dinar zu ergattern. Ein Teil nach dem anderen wird herausgefischt, Form und Farbe, Material und Qualität einem knappen prüfenden Blick unterworfen, im Augenblick des Fündigwerdens stellt sich eine Art Hochgefühl ein.

Fast atemlos wird der Kauf getätigt und ebenso rasch wie jener im mitgebrachten Beutel verschwindet, verflüchtigt sich das Hochgefühl, verlangt nach neuer Stimulierung. Schon richten sich Augen und Hände konzentriert auf den nächsten Kleiderberg.

Das geht so weiter, bis die Händler um die Mittagszeit ihre Ware sorgsam zusammenlegen und in großen Plastikfolien verstauen. Die Anprobe zu Hause gewährt von Neuem Genugtuung, wenn die erstandenen Hosen, Pullis, Röcke passen und dem Blick in den Spiegel standhalten.

Ein neues Outfit für nichtmal 10 Euro; was macht es da, wenn dieser oder jener Mangel, ein nicht zu entfernender Schmutzfleck im Eifer übersehen wurde, ein Teil nicht richtig sitzt und gleich wieder entsorgt werden muss. Meine Schränke quellen über, die Kleiderfülle stellt mich vor die Qual der Wahl, manches habe ich nie getragen, häufiges Aussortieren erweist sich als unabdingbar: Guten Gewissens reiche ich das eine oder andere Qualitätsstück weiter.

Mein Verlangen nach der Fripe hält ungebrochen an, widersetzt sich jeglicher Vernunft. Und ganz sicher bin ich nur eine von den vielen, die es nach diesem Kif, Rausch, verlangt!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • S
    simon

    ich war auch gerne auf altkleidermaerkten in suedamerika und freute mich ueber so maches einwandfreies schnaeppchen. doch fehlt mir in diesem artikel eindeutig die kritische auseinandersetzung mit den folgen der aus dem norden stammenden altkleiderberge in die laender des suedens. in bolivien will die evo morales regierung am liebsten den handel verbieten. in anderen laender ist der import verboten, weil die wertschoefungskette der eigenen kleiderindustrie foellig zerstoert wuerde.

     

    einen gute hindergruendige beschreibung der problematik zu dem thema gibt es hier:

     

    http://www.fairwertung.de/