piwik no script img

■ Brief an Präsident MitterrandFischer sind vollwertige Arbeiter

Monsieur le President de la Republique,

was sagen Sie einem jungen bretonischen Seemann, der nach 38 Tagen auf See einen Lohnzettel erhält, auf dem ein Gehalt von 161,94 Francs angegeben ist? Was sagen Sie einem Familienvater, der nach einer 15tägigen Fischfahrt gegen Wind und Wetter einen Lohn von bestenfalls 700 Francs nach Hause bringt? Die Meeresfischer sind keine Unterstützungsempfänger, sondern vollwertige Arbeiter. Heute sind ihre Elendsgehälter direkt abhängig von den massiven Einfuhren aus Ländern, die nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehören und deren Preise unter jeder Konkurrenz liegen. (...)

Wissen Sie, daß von einem einzigen Arbeitsplatz auf dem Meer unmittelbar vier Arbeitsplätze auf dem Land abhängen und daß ein Fischer somit seine ganze Region am Leben hält? Schließlich muß er sich zuerst mit allem nötigen Material zum Fischen ausrüsten, mit Werkzeugen, Elektronik, Lebensmitteln etc. Zuvor ist sein Boot auf einer Werft gebaut worden, heutzutage ein seltener Auftrag. Die Kette ist noch viel länger, schließt sie doch die Fischhändler, Transporteure, Einzelverkäufer mit ein. Heute ist dieses Netz völlig durcheinandergeraten, weil der Seemann seinen Fang nicht mehr zu angemessenen Preisen verkauft. Weil die Stände von Importwaren überflutet sind, muß er Schleuderpreise akzeptieren. Deshalb kann er die Zulieferer nicht mehr bezahlen. Deshalb geraten seine Familien in solche Not, daß sie ihre Schulden nicht mehr tilgen, daß sie ihre Kinder nicht mehr in die Schulkantinen schicken können. (...)

Angesichts der Laschheit unserer Regierung fragen sich die Familien der Meeresfischer heute voller Angst, welches Schicksal der französischen Fischerei bevorsteht. Sollen unsere Meeresaktivitäten denn schlicht und einfach aufhören, und wenn ja, wer profitiert davon? Wir warten dringend auf eine klare und präzise Antwort auf diese Fragen, die das Überleben einer ganzen Region betreffen. Deshalb bitten wir Sie, uns zu empfangen, damit wir Ihnen mit eigener Stimme die Sorgen schildern können, die uns, die Frauen der Meeresfischer und Familienmütter, heute quälen. Vereinigung der Frauen der Seeleute von Guilvinec (Bretagne)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen