■ Filmstarts: Wir empfehlen heute...
„Nicht die kunstvolle Farbfotografie führt das Publikum in diesen Film, sondern die auf Abwege geratenen romantisch-hysterischen Schwestern“, befand der katholische Film-Dienst („Wir lehnen ab“) im Jahr 1949. Heute dürfte sich die Situation eher umgekehrt darstellen: Wir sich nämlich trotz des Themas „Nonnen im Himylaya“ auf den Weg zu einem Lichtspieltheater macht, um „Black Narcissus“ von Michael Powell und Emeric Pressburger zu sehen, wird ob dieser Entschlußkraft mit einem der schönsten Farbfilme belohnt, den man sich denken kann.
Hätte einen der Vorspann nicht bereits eines Besseren belehrt, könnte man „Black Narcissus“ zu Beginn fast für einen Schwarzweiß-Film halten: Fahles Licht fällt in ein dunkles Arbeitszimmer und beleuchtet eine reglos am Fenster stehende Figur in weißer Ordenstracht. Doch noch während die Oberin gemeinsam mit Schwester Clodagh Schwarzweiß-Fotos des Palastes in den Bergen betrachtet, in dem der Orden eine Missionsstation einrichten will, sehen wir in aller Pracht, was den Schwestern später zum Verhängnis werden wird: das satte Grün der tropischen Vegetation, das leuchtende Blau im ehemaligen Harem, die pittoresk bunte Kleidung der Einheimischen. Die Farbe wird über die Nonnen hereinbrechen, und mit ihr die Natur, das Leben, die Liebe und der Wahnsinn.
Statt für den schlichten Habit schwärmen die Schwestern plötzlich für die orientalischen Prunkgewänder eines Prinzen, und die mit der Gartenarbeit betraute Nonne pflanzt statt Gemüse lieber Blumen. Am schlimmsten trifft es jedoch Schwester Ruth, die sich in eine einseitige und wahrhafte Liebe zum burschikosen Verwalter Mr. Dean verstrickt.
Mit Ruths Wahnsinn korrespondierend schufen Powell und sein Kameramann Jack Cardiff stilisierte Sonnenaufgänge und -untergänge in völlig übersteigerten Farben. Und wenn Schwester Ruth dann den roten Taschenspiegel nimmt, um sich die roten Lippen mit dem roten Lippenstift noch röter zu schminken, und wenn sie die roten Schuhe anzieht und im roten Kleid zu Mr. Dean eilt, dann hat Schwester Clodagh noch nicht ganz begriffen, was die Glocke geschlagen hat.
Rot war die Lieblingsfarbe Michael Powells, und so verwundert es nicht, daß nach der „Schwarzen Narzisse“ (der Titel bezieht sich übrigens auf ein Parfüm) „Die roten Schuhe“ in Angriff genommen wurden. Eines der beeindruckendsten Erlebnisse in meiner Laufbahn als Kinogänger war die Aufführung des Films – vor beinahe zehn Jahren auf der Farbfilmretrospektive der Berlinale – in einer vom National Film Archive London restaurierten Fassung.
Zum ersten Mal seit 1948 hatte man wieder Kopien vom Original-Kameranegativ gezogen. Und obwohl der Film auf Eastman-Material umkopiert wurde, weil man das Technicolor-Druckverfahren im Westen längst aufgegeben hat (die letzte Anlage steht in China), war der Farbeindruck doch unvergleichlich. Da die Geschichte von der Unvereinbarkeit von Kunst und Liebe fraglos märchenhafte Züge trägt, geht es auch in „The Red Shoes“ nicht um eine realistische Farbgebung.
Unbestrittener Höhepunkt ist die etwa 15minütige Ballettsequenz des Films, wo die Räumlichkeit der Bühne zugunsten des filmischen Raumes aufgegeben wird und der Triumpf der Phantasie auch zum Triumpf der Farben gerät.
Lars Penning
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen