■ Filmstarts a la carte: Helden der Arbeitslosigkeit
Während man in Deutschland lieber die Problemchen der Schickeria auf die Leinwand bannt, erzählen die Franzosen noch den wahren Arbeiterklasseblues. Wie etwa Pierre Jolivet in „Fred“, einem kleinen Krimi im Milieu der Arbeitslosen. Seit die Fabrik geschlossen wurde, haben die Leute in ihren identischen Siedlungshäuschen viel Zeit: zum Staub saugen, zum Bier trinken, für kleine krumme Geschäfte. Schließlich ist das Konto meist überzogen, und die Rechnungen bleiben unbezahlt. Doch dann ist plötzlich jemand tot, und Fred, der ehemalige Kranführer (exzellent: Vincent Lindon als Musterproletarier mit Schnauzbart und superbreiten Koteletten) gerät in Verdacht. Es ist fast ein wenig wie bei Hitchcock: Der unschuldig Verfolgte muss den Täter selbst finden, um sich zu entlasten. Doch Regisseur Jolivet geht es nicht wirklich darum, Krimispannung zu verbreiten. Da fallen die Schüsse dann konsequenterweise im Off; allenfalls wankt einmal jemand zum Sterben vor die Kamera. Vielmehr interessiert sich Jolivet für die Menschen und die Folgen der Arbeitslosigkeit: Wehmut, Heimatlosigkeit, Armut, Trauer, Langeweile. Und so hat auch Fred mit der Aufdeckung eines Bauskandals, der die Morde nach sich zog, vor allem endlich wieder eine Aufgabe gefunden, der er seine ganze Kraft widmen kann. Furcht kennt er dabei keine, denn sein Fazit lautet: „Nur wenn man nichts zu tun hat, bekommt man Angst.“
Fred 14.10.-20.10. im Filmrauschpalast
Nach dem Remake von Werner Herzog mit Klaus Kinski gibt es jetzt auch den Original- „Nosferatu“ von F.W. Murnau wieder einmal im Kino zu bewundern, am Flügel begleitet von Jürgen Kurz und in der viragierten Fassung. Das ist in einer Vampirgeschichte nicht ohne Bedeutung, denn auch die Nachtszenen wurden am Tage gedreht und erst später blau eingefärbt. Schließlich kann der unheimliche Graf (Max Schreck) schlecht bei schönstem Sonnenschein umherwandeln. Da der Horrorfilm als Genre 1921 noch nicht existierte, musste Murnau das „Unheimliche“ zunächst einmal selbst definieren: durch die Maske Nosferatus (Glatze, spitze Ohren, krallenbewehrte Finger), durch den markanten Schatten, den diese Figur zu werfen imstande war, und durch einen Kontrast von sehr schnellen und sehr langsamen Bewegungen. Denn der Graf bewegt sich entweder stocksteif und zeitlupenhaft wie ein Zombie oder in rasender Geschwindigkeit (wie beim Verladen der Särge). Für den Häusermakler Hutter (Gustav von Wangenheim) ein beständiger Quell seines Albdrückens, und für den heutigen Zuschauer ein Blick auf eine der poetischsten und einflussreichsten Figuren der Filmgeschichte.
Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens 17.10. im Filmkunsthaus Babylon
Der britisch-amerikanische Schauspieler George Sanders, Inbegriff des eleganten Zynikers, war dem Zusammenbruch nahe, weil er mit Roberto Rossellinis Vorliebe für die Improvisation nicht zurechtkam. Und die damalige Rosellini-Gattin Ingrid Bergman argwöhnte, dass ihr Angetrauter mit „Reise nach Italien“ (1953) vor allem eine Art Kulturfilm über die Ausgrabungen von Pompeij schaffen wollte. Sie sei sich jedenfalls wie eine Touristin vorgekommen, beklagte sich die Schauspielerin in späteren Jahren. Fraglos passte das ganz reale Unglück der Darsteller jedoch gut zur Geschichte einer Ehekrise, die ein englisches Ehepaar im ihnen fremden Italien zu durchleben hat. Und der Kritik der Bergman zum Trotz ist äViaggio in Italiaô eine faszinierende Studie über Entfremdung geworden, die in ihrer Stimmung stark an jene Filme erinnert, mit denen Michelangelo Antonioni zu Beginn der sechziger Jahre für Furore sorgte.
Reise nach Italien – Viaggio in Italia 14.10.-16.10. im Filmkunsthaus Babylon
Lars Penning
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