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■ Filmstarts à la carteDrei Filme für Wolf Donner

Spätestens in Hof hat man wieder gemerkt, daß er nicht mehr da ist: Mit Wolf Donner, dem Kritiker, der diesem Titel seine Noblesse erhielt, ist der deutschen Filmszene eine Art Gravitationszentrum verloren gegangen, an dem man immer maß, ob man einen Zickzackkurs fuhr. Freunde und Kollegen von ihm werden sich nun am Sonntag, dem 6. November, im Arsenal versammeln, wo ihm zu Ehren vom Tip-Magazin drei Filme gezeigt werden, die er besonders mochte: Götter der Pest, einer von Fassbinders unterkühlt-sehnsüchtigen Frühfilmen, Larissa Schepitkos Woschoždenie, den Donner noch als Leiter der Berlinale nach Berlin geholt hatte und der schließlich auch den Goldenen Bären gewann. Cassavetes Love Streams gehört zu den Filmen, die man seinem Liebsten auch statt eines Briefes schicken kann. Ich sage nur: Gena Rowlands und ihr Mann John.

„Und wo waren Sie 1968?“ Bestimmt in einem Käfer auf der Autobahn nach München. Dann müßten Sie eigentlich auf der Überholspur einen Käfer mit einer Kamera entdeckt haben, der einen anderen Käfer filmt, wie er fährt. Die Insassen zogen gerade an Zigaretten, gern Roth-Händle, tranken Rüttgers Club Piccolos aus Sechserpacks und wollten zum Starnberger See. Man ist damals eigentlich nie ausgestiegen aus den Autos. In Rudolf Thomes Rote Sonne, der kürzlich zu seinem 25. Geburtstag (sagt man das bei Filmen?) wiederentdeckt wurde, fährt Marquard Bohm mit dem Käfer sogar bis in den See rein. Und obwohl ich 1968 erst eingeschult wurde, sind wir später mit einem alten 190er Dieseldaimler in den Harz gefahren, mitten in den Wald rein durchs Laub und haben zu viert in dem Wagen geschlafen. Den nächsten Morgen ist man dann zurück über Landstraßen nach Hause. Spazierengehen war nicht.

Solche Sachen fallen einem ein, wenn man Filme von oder mit Marquard Bohm sieht. In Terror Desire von 1970/71 steht eine Autobahnbrücke nutzlos in einer Schneelandschaft herum, die Straße ist noch nicht gebaut. Bohm und Partnerin können beide nicht fahren, lassen den Käfermotor einfach laufen und gehen zu Fuß. Manchmal wird nach Nizza getrampt, und da sitzt man dann, sagt, ich mach mich mal frei, zieht sich die Lederjacke aus und liest Zeitung. Zu reden gibt's nicht viel (Nizza von 1970).

In vielen der Bohm-Filme spielen Waffen eine wichtige Rolle, und Geld ist kein Problem, denn man hat eine Bank überfallen und zwei Millionen Mark im Koffer im Hotel stehen. Die Welt ist irgendwie fremd, aber es gibt viele Mädchen in knielangen weißen Lederstiefeln, die spricht man in einer Bar an, nimmt sie mit aufs Hotelzimmer, duscht vorher, legt sich in das spakige Bett und scheuert mit den Füßen an der Tapete (Fremde Stadt von 1972). „Daß wir überhaupt was tun, ist Zeichen unserer Hilflosigkeit.“

Das Checkpoint-Kino zeigt die Filme in diesem Monat in der Reihe „Rebellen, Gammler, Lebenskünstler“. In der ersten Woche läuft Nicht fummeln Liebling, übrigens mit Otto Sander. Einer der Filme, bei dem man sich gefreut hat, irgendwann 18 zu sein und ins Bahnhofskino gehen zu dürfen. In der zweiten Woche laufen Filme von Christof Wackernagel, der den meisten eher als RAF-Mitglied denn als Filmemacher bekannt sein dürfte. Wackernagel wird Texte lesen (12. November) und nach der Videovorführung seines Theaterstücks „Der endliche Sieg“ zum Gespräch bereitstehen (11. November).

Die Bohm-Filme laufen in der dritten Woche (17. bis 23. November), und zum Schluß gibt's Kurzfilme von Wim Wenders. Vielleicht geht einem danach auf, ob die damals nicht nur mehr Auto gefahren sind, sondern auch tatsächlich mehr Sex hatten als wir.Andreas Becker/mn

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