■ Filmstarts à la carte: Ein unendlich trauriges, schönes Tier
Bei wieviel Tier beginnt der Tierfilm? Und dient nicht letzten Endes jeder Beitrag des Genres dazu, zu beweisen, daß Tiere die besseren Menschen sind, daß sie in all ihrer schönen Wildheit und gewiß auch Niedlichkeit im Verschwinden begriffen sind? Das Arsenal widmet sich dem Genre mit dem Willen zur Enzyklopädie. Vom frühesten Versuch (The Teddy Bear, USA 1907) bis zu Der weiße Hai, von Fliegenfilmen (Les Mouches, 1913) über Besonderheiten der russischen Jagd, einer Rarität von 1995, ist recht üppig alles vertreten.
Wer in den siebziger Jahren als Kind sozialliberaler Kreise aufwuchs, wurde oft und gern in sozialistische und andere Sommerlager verschickt. Dort sollten „Erfahrungen“ gesammelt werden, was immer darunter zu verstehen war. Jedenfalls kam es, neben vielen anderen Dingen, zu Filmvorführungen im Freien, die auch den schlechtesten Film noch mit schweißtreibender Suggestivkraft ausstatten. So ähnlich kommt mir immer der Besuch eines Freiluftkinos vor, irgendwie naturverbunden, jugendlich und von Rauchwolken umhüllt. Kein Wort vom Wetter!
Der Sommer ist groß, die Filme sind es nur zum Teil: heute abend Die Brücken am Fluß (Friedrichshain), Männerpension (Hasenheide), Nach fünf im Urwald.
Eigentlich erstaunlich, wie lange die Majors brauchten, um Schwarze Messen, Metallica, satanshörige Jugendliche und ihre nächtlichen Meetings für sich zu entdecken. Endlich also Der Hexenclub, erster Girlie-Film über okkulte Luziferspiele. Vier Teenies in der amerikanischen Provinz entdecken die Palette der teuflischen Tricks von ersten Voodoo-Experimenten über furchterregende Racheflüche bis hin zu Zaubersprüchen, die die Welt aus den Angeln und die Wale aus den Meeren heben. Immerhin gibt sich Regisseur Andrew Fleming Mühe, das Abrakadabra zum Medium der Geschichte selbst zu machen. Besonders zu Anfang, wenn die Hexerei noch in der Schwebe bleibt zwischen pubertärer Verwirrung und echtem Budenzauber, ist die Kamera perfider Komplize der frechen Gruftie-Girls: Irritierende Zooms, beunruhigende Zeitlupen und wilde Reißschwenks ziehen dem Betrachter den Boden unter den Füßen weg. Welcome in Eastwick country. Von Morphing über Blue Screen bis zur pyrotechnischen Riesenparty ist so ziemlich jeder Hokuspokus vertreten.
Wie es sich für anständige Zauberlehrlinge gehört, werden die Grufties die bösen Geister, die sie riefen, natürlich nicht mehr los. Insektenschwärme in den Fluren, Millionen Kakerlaken an den Wänden, Ringelnattern aus den Rohren und kiloweise Madenklumpen im Klo.
Katja Nicodemus
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