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■ Filmstarts à la carteIn der Unterhose auf dem Tretroller

Er gehörte nicht unbedingt zu den ganz großen Namen des deutschen Films der zwanziger und frühen dreißiger Jahre, doch sein Charakterkopf sowie seine nicht unbeträchtliche Leibesfülle sind aus einer Vielzahl von Produktionen nicht wegzudenken: So zählt Kurt Gerron etwa zu den Mitwirkenden in „Der blaue Engel“ und muß in seiner Rolle als Rechtsanwalt den „Dreien von der Tankstelle“ die Nachricht ihres Bankrotts eröffnen.

Mit dem Namen des jüdischen Schauspielers und Regisseurs verbindet sich jedoch auch ein trauriges Kapitel deutscher Filmgeschichte. 1933 emigriert, fand Gerron zwar zunächst Beschäftigung als Regisseur in den Niederlanden, entfloh dem Terror jedoch nicht weit genug: Als die nationalsozialistischen Truppen Europa überrollten, wurde Gerron gefangengesetzt und ins KZ Theresienstadt gebracht. Dort zwangen ihn die Nazis – Gipfel des Zynismus –, über das Lager einen Propagandafilm mit dem Titel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ (1944) zu drehen. Nach Beendigung wurden Gerron und alle Mitwirkenden umgebracht.

Neben dem „Theresienstadt“- Fragment ist im Filmmuseum Potsdam in der kommenden Woche auch eine Regiearbeit Gerrons aus besseren Tagen zu sehen. „Ein toller Einfall“, 1932 als Ufa-Produktion entstanden, zeigt ihn als Regisseur voller ungewöhnlicher Ideen: Max Adalbert führt teilweise im Stile eines Conférenciers durch die Komödie; Paul Hörbiger wendet sich einmal sogar direkt ans Publikum. Temporeich und witzig gestaltet Gerron die Szenenübergänge, indem er die Dialoge – jeweils von anderen Protagonisten an anderen Schauplätzen – scheinbar weiterführen läßt. Einen Höhepunkt mit ungeahntem Gegenwartsbezug gibt es gleich zu Beginn: In einer surrealen Traumsequenz werden die Steuerzahler vom Finanzamt derart ausgeplündert, daß sie schließlich in Unterwäsche auf dem Tretroller nach Hause fahren müssen.

11.5. im Filmmuseum Potsdam

Von Gerrons Musikkomödie ist es nur ein kleiner Sprung zum Thema des diesjährigen Cinegraph-Kongresses: Im Mittelpunkt der Veranstaltung „MusikSpektakelFilm“ steht eher Unbekanntes (und Skurriles), wie beispielsweise Richard Oswalds „Die Blume von Hawaii“, der 1932 nach Paul Abrahams ebenso blöder wie populärer Operette entstand. Zwar wurde mit Marta Eggert eine erstklassige Sängerin verpflichtet, sonst jedoch merkt man dem Film seine Finanznot deutlich an: Hawaii hat diese Produktion natürlich noch nicht einmal von fern gesehen, und so wehen die tropischen Winde lediglich als Stockshot irgendeiner Wochenschau oder eines Kulturfilms durchs Bild. Die Tonfilmpremiere als B-Picture.

9.5. im Zeughauskino

In die zweite Woche geht die Douglas Sirk-Retrospektive; jetzt hauptsächlich mit einigen seiner amerikanischen Filme. Der Liebste ist mir „All That Heaven Allows“ mit seinem bitterbösen Blick auf die Familie: Erst hintertreiben die Kinder die Liebe ihrer verwitweten Mutter zum jüngeren Gärtner und schenken ihr dann – damit sie nicht so allein ist – einen Fernseher. „Da bricht man zusammen im Kino“, befand Sirk-Verehrer Rainer Werner Fassbinder einst ganz zu Recht.

9./10.5. im Arsenal

Lars Penning

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