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Filmfestspiele VenedigDer Mund bleibt meistens zu

Cristina Nord ist bei den Filmfestspielen in Venedig. Erst in zwei Filmen hat sie schöne Spuren von Kontingenz entdeckt.

Schöne Menschen, die schöne Dinge tun: Regisseur Guerin und seine Schauspieler Bild: ap

Einen schönen Satz sagt der Regisseur Todd Haynes während der Pressekonferenz zu seinem Film "Im not there". Mit den sechs Hauptfiguren, den unterschiedlichen Stilen und der Sprunghaftigkeit sei der Film wie eine "Psyche, die mit sich selbst im Widerstreit steht". "Im not there" umkreist Bob Dylan, ohne je die Geschlossenheit und die Kausalitätsbehauptungen eines Biopics anzustreben. Das Biopic, sagt Haynes, "neigt dazu, zu reduzieren. Für jemanden, der so komplex und widersprüchlich ist wie Bob Dylan, erschien mir das unmöglich."

Wenn Erfahrungen, wenn Menschen und Wirklichkeiten ambivalent und multiperspektivisch sind, warum müssen Filme dann Geschlossenheit herstellen? Warum können sie sich nicht stärker auf das einlassen, was in der bildenden Kunst und in der Literatur seit mehr als 100 Jahren erprobt wird, darauf, dass sich die Formen öffnen und Kontingenz keine Gefahr ist? Warum haben sie so selten den Mut der Nouvelle Vague, Chaos herzustellen? Vor einem Jahr noch war die Mostra in dieser Hinsicht ein Fest, unter anderem weil sie Filme aus dem Programm des Wiener "New Crowned Hope"-Festivals zeigte, Filme wie "Syndromes and a Century" von Apichatpong Weerasethakul oder "Opera Jawa" von Garin Nugroho, Filme, die man mit vor Staunen offenem Mund anschaute.

In diesem Jahr bleibt der Mund meistens zu. Eine Spur von Wahnsinn lässt der Überraschungsfilm zu, "Mad Detective" von Johnnie To und Wai Ka-Fai. Eine der Nebenfiguren hat eine multiple Persönlichkeit, was der Film umstandslos ins Bild setzt: Plötzlich geht nicht mehr eine, plötzlich gehen sieben Figuren durch das nächtliche Hongkong. Verstärkt wird die Irritierung, weil "Mad Detective" szenenweise in die subjektive Wahrnehmung dieser sieben Figuren hineinrutscht.

Auch der katalanische Regisseur Regisseur José Luis Guerin versucht, konventionellen Erzählmustern zu entgehen. Sein Wettbewerbsbeitrag "En la ciudad de Sylvia" ("In der Stadt Sylvias") widmet sich in langen Sequenzen scheinbar Nichtigem. Der Film spielt an drei Sommertagen in Straßburg. Am Anfang sieht man den namenlosen Protagonisten in einem Straßencafé. Die Kamera folgt seinen Blicken, heftet sich an die Köpfe der anderen Gäste, man hört Fetzen von Unterhaltungen in unterschiedlichen Sprachen, viele Touristen sitzen in dem Café; der junge Mann fertigt Skizzen von denen, die er beobachtet. Ein Paar schweigt, die Gesichtszüge des Mannes wirken hart, seine Mundwinkel weisen versteinert nach unten. Zwei junge Frauen stecken lachend die Köpfe zusammen, die Kellnerin bringt Bier, Kaffee und Pfirsichsaft an die Tische. Manchmal blickt die Kamera bis zur gegenüberliegenden Straßenbahnhaltestelle und mustert die Wartenden, meistens Frauen. Einer fährt der Wind ins lange Haar. Für 30, 40 Sekunden umtanzen die Strähnen ihren Kopf.

Das ist schön, weil es einfach nur müßig die Zeit verstreichen lässt. Später setzt Guerin ins schöne Nichts Inseln der Bedeutsamkeit, etwa, indem er die wie ein Labyrinth gefilmte Stadt mit banal-aufdringlichen Schriftzügen versieht. Schade. Im spanischen Pavillon der Kunstbiennale finden sich Ausschnitte aus "En la ciudad de Sylvia" wieder, diesmal als schwarz-weiße Standbilder und unter dem Titel "Women We Dont Know". Sie erzählen eine kleine Geschichte der verpassten Begegnungen, der flüchtigen Attraktionen. Zugleich aber sind sie auch Trophäen eines Blicks, der weniger schweift, als dass er sein Ziel genau kennt: junge Frauen, konventionelle Reize. Gibt es jenseits der zu Tode zitierten Nouvelle-Vague-Sentenz von den schönen Frauen, die schöne Dinge tun, eigentlich nichts anderes zu sagen?

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