Fernsehdoku mit "Feuchtgebiete"- Autorin: Charlotte Roche schminkt Leichen
Moderatorin und Autorin Charlotte Roche braucht größere Visitenkarten: Sie geht unter die Bestatter und Trucker - und 3sat zeigt, was sie dort erlebt.
Keine Bange. In diesem Text trinkt niemand Erbrochenes, nicht einer isst Popel, und von Sperma wird auch nicht die Rede sein. Obwohl dieser Text von Charlotte Roche handelt, die seit ihrem Debüt als Anti-Deo-Dichterin ja quasi als Expertin gilt, wenn es um Körpersäfte etc. geht, oder um die Frage, ob Frauen auch mal müffeln dürfen.
Aber das ist jetzt Nebensache. Ausnahmsweise. Denn dieser Text handelt von Roches Rückkehr ins Fernsehen. Heute startet auf 3sat die Serie "Charlotte Roche unter ..." - und dort geht es bewusst nicht um "Feuchtgebiete", sondern um Müll, Sterben, Ballern, Autofahren und um, nun ja: Kot geht es dann doch. Aber nur am Rande.
Fünf Tage lang hat Charlotte Roche, ehemals bei Viva, Menschen in ihrem Beruf begleitet: Sie war mit einem Jäger auf der Pirsch, mit Müllmännern Tonnen leeren, hat bei einem Bestatter Leichen geschminkt, ist mit einem Trucker nach Paris getuckert und mit einem Altenpfleger von Zimmer zu Zimmer gezogen, um Menschen zu waschen und Bettpfannen zu reinigen, wobei das freilich eine automatische "Fäkalienspüle" übernahm.
Die Dreharbeiten waren nicht immer problemlos. In einer Klinik bekam Roche Hausverbot, da man offenbar fürchtete, die Autorin könnte auf der proktologischen Station neue Forschungen anstellen. Was die aber gar nicht wollte. Die 30-Jährige macht in der Serie schlicht das, was sie am besten kann: mädchenhaft rumalbern und die Menschen ausfragen; sie nennt das: Vorurteile beseitigen. Zum Beispiel, dass alle Jäger "rechtsradikal sind und auf Bambis schießen". Ist aber gar nicht so, erfährt man. Die zählen auch Hasen.
Die Idee zur Serie stammt von Roche selbst. Und mit 3sat kam ein Sender hinzu, mit dem sie nach eigenem Bekunden gut kann. Herausgekommen sind fünf charmante Folgen, die unverstellte Einblicke in Berufe liefern, immer ohne Drehbuch und ohne Erzähler, der jeden umfallenden Reissack erklärt. Die Menschen erzählen ihre Geschichten einfach selbst. Weil Roche sie fragt. Das ist meistens gut gemacht, bis auf die letzte Folge.
Da steigt Roche auf den Bock, und man erwartet einen Trucker, dem Zeit und Chef im Nacken sitzen, der sich nachts einpfercht in seine Koje und morgens im Abgasdunst ein Spiegelei brät. Doch nix da: Der Boss, ein bequemer Typ mit brummender Firma, lenkt seinen hochmodernen Lkw selbst. Gepennt wird im Hotel! Da wurde die Fernfahrerrealität weiträumig umfahren.
Dafür geht es heute mit der stärksten Folge los: mit Roches Besuch bei dem Bestatter Ferdinand Pfahl. Auch dessen Laden läuft super. Gestorben wird schließlich immer. Pfahl verkauft Urnen in Fußballform, beerdigt gut 2.000 Menschen pro Jahr, darunter Promis wie Harald Juhnke oder Klaus-Jürgen Wussow, von deren Beisetzung Fotos an Pfahls Wand pappen. Da können sich die Kunden ansehen, wie Sterben aussieht, wenn man bekannt war. Roche klappert alle Stationen ab. Guten Tag, sagt sie, ich bin heute ihr Leichenlehrling. Da ist sie noch guter Dinge; beim Fertigen des Sargs auch noch. Als es aber dann in den Keller geht, schafft es Roche kaum noch, ihre Angst zu überkaspern.
Für Pfahl wie für den Truckerboss ist das natürlich auch Werbung - wenn sie die überhaupt brauchen. Die Müllmänner indes wittern ein Zubrot. Als der Gast weg ist, hört man noch, was im Müllwagen palavert wird: "Hat die jetzt ihre Handschuhe mitgenommen? Die wollte doch der Weber bei Ebay versteigern!"
"Charlotte Roche unter ...",
mittwochs, 23.15 Uhr, 3sat
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP