Feministische Debatte um Palin: Pionierin und Muskelfrau
US-amerikanische Publizistinnen debattieren, ob Sarah Palins Nominierung gut oder fatal für den Feminismus ist.
Sarah Palins Nominierung hat John McCains Präsidentschaftswahlkampf unerwarteten Aufwind verschafft. Und genau dieser Zuspruch, den sie als Frau in nächster Nähe zur Macht erfährt, spaltet nun das feministische Lager und löst heftigste Debatten aus. Denn es geht mittlerweile nicht mehr nur um die Wahl zwischen McCain und Barack Obama. Der gesamte Feminismus ist herausgefordert durch eine Frau, die die Regeln der Gender-Debatte verändert. Die alte Frage, ob Frausein als emanzipatorisches politisches Programm ausreicht, muss neu verhandelt werden.
Die feministische Pro-Palin-Fraktion wird lauthals angeführt von der um verquere Positionen nicht verlegenen Camille Paglia. Diese sieht in Palin nicht die erzkonservative religiöse Fundamentalistin, sondern vor allem das neue Modell eines "muskulösen amerikanischen Feminismus", der das "feministische Establishment" herausfordert. Letzteres zeichnet sie als verweichlicht, bourgeois und doktrinär dem Pro-Abtreibungs-Bekenntnis verhaftet. Palin bringe dagegen ein neues Frauenbild in Stellung. Sie übernimmt im Alleingang das Erbe der amerikanischen Pioniere. Bei ihr setzt sich die Welt der ganzen Kerle fort, das Narrative der heldenhaften Westerners. Mit Palin ist die Urerzählung amerikanischer Männlichkeit im Feminismus angelangt. Palin - das ist die Fortsetzung der hemdsärmligen Bäuerinnen, der heldenhaften Frontfrauen. Der Ganze-Kerle-Diskurs, der schon in seiner männlichen Version unerträglich ist, wird nun von ihr ins Weibliche übersetzt.
Diese Widersprüchlichkeit der "ganzen Frau" ist auch für die Anti-Palin-Fraktion der springende Punkt. Denn dieser neue "konservative Feminismus" hat die bekannte Heimchen-am-Herd-Rhetorik verlassen. Konservativer Feminismus heißt nunmehr, die keusche Mutter - mit ihrer "virtuellen Burka", wie Cintra Wilson schreibt - an die vorderste politische Front zu stellen. Das konservative Frauenbild spaltet sich hier: Während es thematisch Geschlechterrollen wie im alten Testament beschwört, agiert es operativ im Windschatten jener Positionen, die der Feminismus erkämpft hat. Die Republikaner schöpfen nun jene politischen Energien ab, die Clinton erkämpft hat.
Palin statt Hillary lautet der feministische Schrecken am Ende dieses Wahlkampfs. Und die gestandene Feministin Rebecca Traister bekennt, Palin habe die Vorstellung einer Frau im Weißen Haus in einen Albtraum verwandelt. Sie ist in die Höhen der Macht gelangt, unter dem Banner jenes Feminismus, den sie auslöschen will. Palin hat das feministische Narrativ pervertiert. Und sie hat gezeigt, dass der Status der "ersten Frau im Weißen Haus" ein politisches Statement über das rein Feministische hinaus ist: Eine keusche "ganze Frau" in Washington bedeutet noch keine Emanzipation. ISOLDE CHARIM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!