Fazit der Autorentheatertage: "Make me laugh!"
Die aktuelle Komödie im deutschen Theater ist besser als ihr Ruf, allein der Wunsch zum Themenstück macht ihr zu schaffen. Ein Fazit der Autorentheatertage in Berlin.
An den Autorentheatertagen in Berlin ließ man nichts anbrennen. Die vier neuen Stücke, die man am Wochenende im Deutschen Theater in einer "Langen Nacht der Autoren" sehen konnte, wurden zwar während nur zehn Tagen geprobt. Aber "Werkstattinszenierungen" sehen in der Regel anders aus.
In Berlin fährt man den ganzen Apparat hoch: Drehbühne, Regenanlage, Musicaleinlagen, Videosequenzen. Regie und Bühne haben nicht gekleckert. Die Bezeichnung "Lange Nacht der Inszenatoren" wäre treffender gewesen. Und Premiumschauspieler gibt es auch. Viel wurde getan, um davon abzulenken, dass drei dieser vier Texte auf einer großen Bühne keine Chance haben.
"Ein Mädchen namens Elvis" von Julia Wolf und "Krauses Erzählungen" von Daniel Gurnhofer kann man sich auch auf einer kleinen Bühne nicht vorstellen. Und Judith Kuckarts "Paradiesvögel" ist eine von der erfahrenen Regisseurin Alice Zandwijk mit viel Atmosphäre aufgepumpte Verarbeitung eines Provinztheatertraumas, ein Nebenwerk. Nur David Lindemann konnte mit "Getränk Hoffnung" überraschen.
Ausgewählt hat diese vier Stücke die Spiegel-Journalistin Elke Schmitter. Ein fünftes, das Schmitter dabeihaben wollte, zeigt das Deutsche Theater ab September gleich im regulären Repertoire ("Blinde Punkte, Sterne" von Mathilda Onur). Ein schöner Erfolg. Und auch das Thema, das Schmitter als Alleinjurorin vorgeben konnte, versprach eine spannende Diskussion: "Make me laugh!", verlangte sie, und rief die Autoren zur Komödiendichtung auf.
Gleich drei von den vier am Samstag gezeigten Stücken kaschierten ihre Unentschiedenheit aber mit derselben alten Zirkusnummer: Sie alle handeln vom Theaterspielen, eine Autorin sucht eine Figur oder eine Figur ihren Autor. Man sucht dabei vergeblich den Sinn, jenseits der Tatsache, dass der Autor oder die Autorin ziemlich viel ans Theater gedacht hat, aber ziemlich wenig ans Publikum.
Meckern ohne Ahnung
Das kann nur interessant finden, wer schon lange nicht mehr ins Theater geht. Elke Schmitter sagt offen, dass sie 1990 als damalige taz-Redakteurin mit dem Theaterbetrieb abgeschlossen habe, nachdem sie eine Spielzeit lang jede deutsche Erstaufführung gesehen hatte.
Dass Schmitter in den vergangenen Wochen dennoch Generalthesen zum Stand des Theaters zum Besten gegeben hat – dekonstruktiv, humorfrei und komödienfeindlich sei es –, erstaunt nur insofern, als dass mangelnde Anschauung ab einer gewissen Reichweite kein Makel sein muss. Schon der Bestsellerautor Daniel Kehlmann hat vor zwei Jahren das "Regietheater" abgewatscht und im selben Atemzug erwähnt, dass er schon lange nichts mehr sieht. Beispiele, Belege? Ach, Anfängerkram.
Interessant ist, wie viele Leser und Leserinnen, aber auch Profis Schmitters Gefühlslagen beipflichten. Denn die Statistik des Deutschen Bühnenvereins gibt keinen Komödiennotstand der zeitgenössischen Dramatik her, und dass Dekonstruktion ein Problem der aktuellen Theaterlandschaft sei, klingt etwa so aktuell wie eine Bundestagsdebatte aus Bonn.
In den Spielplänen der deutschen Theater stammen heute die beliebtesten Stücke zwar noch immer von Goethe. Oder von Thomas Mann, seit man angefangen hat, Romane für die Bühne zu bearbeiten. Und am meisten Zuschauer zieht die Französin Yasmina Reza an, etwa mit der dunklen Komödie "Der Gott des Gemetzels". Nach gut zehn Jahren der breiten Autorenförderung an Theatern und Kunsthochschulen gibt es aber auch Hoffnung für deutsche Stücke, selbst wenn sie nicht von Roland Schimmelpfennig geschrieben sind.
Nach dieser Spielzeit kann man auch drei Tendenzen beobachten, was Stoffwahl, Sprache und Gattung betrifft. Nach wie vor greift man gerne zu großen Romanen (dafür weniger zu Filmen). Viele der jungen Texte lassen den ausdrücklichen Wunsch der Theater erkennen, gesellschaftliche Themen bearbeiten zu wollen. Und auffallend viele Texte kreisen um die Gattung der Komödie oder werben mit Humor um das Publikum, nicht erst seit Elke Schmitters Aufruf.
Eine Komödie, die Gattung des Gelingens statt des Scheiterns, muss besser geschrieben sein als ein kapitalismuskritisches Befindlichkeitsstück. Die Komödien von Lutz Hübner und Oliver Bukowski werden selten von prominenten Regisseuren aufgeführt. Aber sie sind so gut gebaut, dass sie auch ohne brillante Regie in der Provinz funktionieren, oft in mehreren Städten gleichzeitig.
Palmetshofers derber Humor
Mehr Chancen auf Kritikerlob haben humorvolle Texte, welche die Komödie nur zitieren. Die bemerkenswertesten Beispiele für die Komödie als Zitatenfundus liefern die Stücke des 33-jährigen Ewald Palmetshofer aus Österreich.
"tier. man wird doch bitte unterschicht" ist Palmetshofers bislang bester Beweis, dass man Reflexion, die sich mitunter selbst parodiert, auch mit derbem Humor paaren kann. Die Inszenierung aus dem Schauspielhaus Wien war an den Autorentheatertagen als Gastspiel zu sehen. Ein Expertenchor tritt auf und theoretisiert umständlich, ob sich der gesellschaftliche Rand nun wirklich am Rand oder nicht vielmehr im Kern befinde.
Das ist lustig, gleichzeitig führt die Szene auch die "korrekte" Problematisierung der Perspektive auf. Wer blickt hier aus welchen Interessen auf die, pardon, "man wird doch bitte unterschicht" sagen dürfen, wie es vollständig heißen müsste, wenn Palmetshofers Figuren denn ganze Sätze sprechen dürften.
Doch dieser Autor ist einer der wenigen seiner Generation, die ihrer Sehnsucht nach gesellschaftlicher Relevanz nicht mit einer unterspannten Sprache begegnen, sondern mit eisernem Formwillen. Nicht jeder wird wie Palmetshofer in Wien zum Autor, wo die beschädigte Kunstsprache keine Randexistenz fristet, sondern mit der Tradition von Thomas Bernhard, Werner Schwab und Elfriede Jelinek mitten im Kanon fortlebt.
Das Komödiantische dient der Distanzierung
Die Stücke von den zum Beispiel in Berlin lebenden jüngeren Autoren sehen anders aus. Das Komödiantische dient in den Stücken von Philipp Löhle, Kevin Rittberger oder David Lindemann oft der Distanzierung. Darin wirken sie sehr großstädtisch und in der Mittelschicht beheimatet, obwohl gerade diese Autoren vor allem über Armut, Kolonialismus und Finanzkrise schreiben.
David Lindemann etwa setzt in seiner Groteske "Getränk Hoffnung" einen Kunden in ein absurdes Bankgespräch, das von der totalen Zufriedenheit und vom Vertrauen des Kunden handelt, aber von nichts Konkretem mehr. Es ist ein schönes Abbild der Finanzmärkte, von der puren Esoterik und latenten Gewalt des Kreditwesens. Bei der Lektüre erschien mir die Konstruktion des mit den kalten Wassern der Systemtheorie gewaschenen Lindemann zu bemüht.
Doch die Werkstattinszenierung an der langen Nacht der Autoren war eine kleine Sensation. Ansteckend gut, und doch ganz beim Text. Der junge Regisseur Matthias Kaschig hat die Groteske beim Wort genommen und Spitzenkräfte wie Arnd Klawitter, Maren Eggert und Peter Jordan zeigen, wie zentral sprachliches Timing und körperliche Präzision im Humorgeschäft sind. Man könnte die gute Stunde sofort in irgendeinen Spielplan übernehmen, ohne das Stück weiter zu Tode zu proben oder anderweitig in die Länge zu ziehen. Danke dafür!
Viele neue Stücke lesen sich aber wie Auftragsarbeiten, als hätte ein Theater einen Text zur Finanzkrise oder zur Altenpflege bestellt. Direkt werden die Themen angesprochen. Und mit Humor wieder in Frage gestellt, oder zumindest mit etwas lustiger Anarchie dekoriert. Was selten ist: dass das Thema wie eine Wolke über den Figuren schwebt, ohne dass diese es bemerken. Gerade in der Komödie ginge es doch darum, dass man Menschen beim Verkennen der Dinge zuschaut - und nicht beim Diskutieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden