Faye über Heidegger: Disparat in Führers Nähe
Emmanuel Fayes polemisches Buch über die Nähe Heideggers zur NS-Ideologie hat eine heftige Kontroverse ausgelöst. Der Philosoph soll in den Giftschrank. Und Denker wie Foucault gleich mit?
Wieder ein Buch, das Rumor machte, als es im Ausland erschien und gleichwohl sofort in Deutschland beachtet wurde - was ja nicht schlecht ist. Wieder ein Buch über Heidegger, das, obwohl anspruchsvoll und gewichtig, bei den Deutschen in keinem der bekannten Heidegger-Verlage erscheint, die sich ja überhaupt nicht zu verstecken brauchen, sondern diesmal sogar bei einem Außenseiter der Branche. Der Autor, Emmanuel Faye, kann sich über die Ausstattung seines Fünfhundert-Seiten-Werks nicht beklagen. Aber wird es das Bild Heideggers bei den Gelehrten und Gebildeten verändern? In Frankreich hat es das nicht getan. Wie stehen die Chancen dafür in Deutschland?
In Deutschland wird man sich zunächst über die Fülle der sachlichen Fehler ärgern, Kleinigkeiten zwar, aber doch viele. Sie sind in den meisten Fällen unwichtig - Ernst Jünger war nie Freikorpsangehöriger -, aber so etwas mag vor allem anderen erwähnt werden, damit das dann erledigt ist. Ernster zu nehmen sind die verkürzten Hinweise, die ein falsches Bild von einer Situation geben. Faye erwähnt einen Brief Heideggers an seinen Freund, den Theologen Rudolf Bultmann in Marburg, der sich im Dezember 1932 beunruhigt erkundigt hatte, ob der Philosoph tatsächlich der Hitler-Partei beigetreten sei. Faye zitiert aus Heideggers Antwort, das seien "Latrinengerüchte", aber er zitiert nicht Heideggers Ausbruch, er gehöre dieser Partei nicht an und er werde ihr niemals angehören. Das ist einerseits komisch, weil er als Rektor der Freiburger Universität wenige Monate später eben doch beitrat, andrerseits sagt es aber doch einiges aus über Heideggers politisches Empfinden vor 1933.
Fayes Buch strotzt von Vorwürfen, deren Plausibilität sich Auslassungen verdankt, und von Fehleinschätzungen. So deutet er Heideggers Bemerkung vor Studenten im Seminar, man müsse sich über den Staat Gedanken machen, weil der ja "auch noch nach 50 oder 100 Jahren existieren" solle, denn: "Unser Staat wird in 60 Jahren bestimmt nicht mehr vom Führer getragen, was dann aber wird, steht bei uns." Das muss man verstiegen nennen, darin darf man aber vielleicht auch Spurenelemente von Ironie entdecken. Ob es aber Heideggers Worte sind, ist alles andere als sicher, denn zitiert wird aus Seminarprotokollen.
Aber auch dabei sollte man sich nicht aufhalten, wenn man sich daran macht, über Fayes Buch nachzudenken. Heidegger hat sich, und dafür gibt es schier endlos zuverlässige Zeugnisse gegenüber seinen Studenten emphatisch für Hitler und den NS-Staat eingesetzt. Er hat, über den Rücktritt vom Rektorat hinaus an einer Idee des Nationalsozialismus festgehalten, die wahrscheinlich seine spezielle war, die aber hässliche Züge genug aufweist, um davor zurückzuschrecken. Heidegger hat immer wieder mit Adjektiven wie "völkisch" und "rassistisch" herumargumentiert, herumschwadroniert, sodass es mehr als unwahrscheinlich ist, dass er sich nicht einiges dabei gedacht hat.
Das meiste davon weiß man seit langem. Relativ neu ist, dass in das Gesamtbild die Seminarprotokolle aus der Rektoratszeit eingefügt sind. Relativ neu ist auch die Unbedenklichkeit, mit der Faye fast alles, was man von Heidegger weiß, als typisch nationalsozialistisch vorstellt. In der Masse wäre es unerträglich, das alles zu lesen - nicht nur dessen wegen, was richtig beobachtet ist, sondern auch, was falsch gesehen wird -, wenn der Autor nicht mit dem pamphletartigen Charakter seiner Schrift den Ausführungen einen Schwung gäbe, der den Leser leicht mitreißt. Immer wieder nennt Faye einzelne Wendungen oder ganze Passagen bei Heidegger "abscheulich". Er plädiert dafür, dass Heideggers Bücher nicht in die Bibliothek philosophischer Seminare gehören.
Darüber wird man eher lächeln, als sich zu empörter Zurückweisung provoziert fühlen. Die Frage indes, die man sich mit Bedacht stellen sollte, lautet: wie kam das zusammen, was Faye als grobes Durcheinander begegnet und dann in seiner Wahrnehmung zu jenem Nationalsozialismus wird, den Heidegger in die Philosophie eingeführt habe. Dazu ist einiges zu sagen. Jeder, der sich näher mit Heideggers Leben und Werk beschäftigt, wird bald auf extreme Disparatheiten stoßen, die nicht miteinander zu vermitteln sind.
Heidegger, einfacher Leute Kind, aufgewachsen in einem bischöflichen Knabenkonvikt, als junger Mensch begeisterter Leser expressionistischer Schriftsteller, pflegte einen zeitgemäßen antibürgerlichen Affekt. Zugleich war er aufstiegsorientiert, auf akademische Reputation aus und sog, einmal einem engen katholischen Milieu entkommen, genussfreudig die milde Luft des Kulturprotestantismus ein, um sie nach exzessiver Luther- und Kierkegaard-Lektüre mit pathetischem Schnauben wieder auszustoßen. Er gab ehrgeizig vor, die Universitätsphilosophie zu verachten, war aber als Philosophieprofessor an der Universität institutionenbewusst wie kein zweiter. Er war ganz gewiss kein Antisemit - fast möchte man mit Blick auf seine Biografie sagen: eher im Gegenteil -, aber er partizipierte bei Gelegenheit gern und patzig an den Vorurteilen seiner Zeit.
Vor allem aber - das wurde ihm 1933 zum Verhängnis: Er teilte mit vielen Professoren das fatale Bedürfnis, mit den Studenten in vieler Hinsicht, auch im Politischen, eines Sinnes zu sein und das lebhaft zu bekunden. Diese Professorenkrankheit haben auch die 68er erlebt und immer mal wieder mit bissigem Spott darauf reagiert. Heidegger hat 1933/34 öfter den Studenten nach dem Munde geredet, als dass er durch eigene Einfälle begeistert hätte. Nach dem Zweiten Weltkrieg beklagte er sich dann bitter, dass er die Studenten nicht mehr erreiche.
Richard Rorty hat einmal ein Gedankenspiel darüber angestellt, dass Heidegger durch ein paar leicht mögliche andere Schritte auf seinem Lebensweg in die Lage hätte kommen können, 1933 zu emigrieren. So, wenn er durch Kurt Riezler den erwünschten Ruf nach Frankfurt erhalten hätte. Der Heidegger der 50er-Jahre hätte durchaus zu einem Vorläufer der Grünen werden können.
Von solchen Disparatheiten liest man bei Faye nichts, aber gerade von der Einseitigkeit des Pamphlets her stellt sein Buch eine begrüßenswerte Herausforderung dar, ihnen nachzuspüren. Das kann und sollte man auch in Sonderheit mit einer Konzentration auf das Philosophische tun, das bei ihm zu oberflächlich genommen wird. So macht Faye viel her von Heideggers Schüler Oskar Becker, der ein strammer Nazi wurde, und dem Karrierenazi Erich Rothacker, der hier sehr in die Nähe Heideggers gerückt wird. Beide haben als Kollegen auch noch in den 50er-Jahren an der Uni Bonn ihr Unwesen getrieben und fleißig Studenten promoviert. Tatsächlich sind die allermeisten Schüler Heideggers keine Nazis geworden, Hannah Arendt zum Beispiel, die ihn bis an ihr Lebensende als Philosophen verehrte.
Zum Thema Disparatheit ist aber nach der Lektüre von Fayes Buch vielleicht noch ein Aspekt nachdenkenswert: Es gibt im 20. Jahrhundert etliche Philosophen, die sich als - direkte: Hans Jonas, oder indirekte: Michel Foucault - Schüler Heideggers bezeichnet haben. Keiner von ihnen gleicht einem anderen von ihnen. Aber keiner mochte davon abrücken, sein Schüler gewesen zu sein, ihm viel zu verdanken, weder 1933 noch 1945 noch in späteren Jahren. Diesen Aspekt der Wirkung Heideggers streift Faye, der auch in seiner Bibliografie die Bücher nach gut und böse trennt, nur mit dräuenden Worten am Rande. Jedoch wenn es stimmte, was er im Untertitel seines Buchs behauptet, dann sollte man wohl den Nationalsozialismus neu im Lichte seiner Bedeutung für die Philosophie sehen? Das muss dann schließlich doch nicht sein.
Emmanuel Faye: "Heidegger. DieEinführung des Nationalsozialismus in die Philosophie. Im Umkreis derunveröffentlichten Seminare zwischen 1933 und 1935". Aus demFranzösischen von Tim Trzaskalik. Verlag Matthes & Seitz, Berlin2009, 557 Seiten, 39,90 €
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