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■ Fasten und Feiern Der RamadanNostalgische Feste

Nichts ist stärker mit Nostalgie verbunden als die Feste unserer Kindheit: rätselvolle, abenteuerliche Rituale der Erwachsenenwelt, die uns auf unerklärliche Weise Geschenke bescherten und alle Gesten und Worte mit einer Aura der Heiligkeit und Tugend umgaben. Die Festtage waren voller geheimnisvoller Taten und wunderschöner Gerüche, und daß ihr Geheimnis von allen geteilt wurde, machte sie noch aufregender: Man besuchte Wohnungen, die genauso aufgeräumt und geputzt waren wie die elterliche auch (man durfte ja nichts durcheinanderbringen); man traf auf der Straße genauso schick und neu gekleidete Leute (ich stellte meine neuen Schuhe immer am Vorabend ans Kopfende meines Bettes); statt zur Schule geschickt zu werden, durfte man sich tagelang im Lunapark herumtreiben. Abends kam Besuch, und man wurde aufs Zimmer gebracht, von wo aus man dem fröhlichen und unverständlichen Geplauder der Erwachsenen lauschen konnte und die Gewißheit bekam: Ich kann gefahrenlos einschlafen.

Vor einigen Jahren fuhr ich am ersten Tag des Zuckerfestes frühmorgens zur Gebetszeit mit einem Taxi zur türkischen Moschee am Columbiadamm, um eine Reportage über das religiöse Feiern der Türken in Berlin vorzubereiten. Es war in den Tagen der Straßenschlachten in Los Angeles. Als der Taxifahrer von weitem die Menschentrauben vor dem Moscheetor erblickte, sagte er mir, ohne sich umzudrehen: „Da haben wir es! Rassenunruhen sind das, nichts anderes“, regte er sich auf, „bald haben wir hier amerikanische Verhältnisse.“ Ich sagte, daß es sich um ein islamisches Fest handeln würde. „Aber doch nicht hier bei uns!“ meinte er und sagte überzeugt: „Wenn ich in Jerusalem oder Istanbul lebte, könnte ich dort auch nicht in die Kirche gehen oder wenn ich sterbe, auf einem christlichen Friedhof begraben werden!“ Ich hatte keine Lust, den Mann über die Zahl der christlichen Friedhöfe, Kirchen oder Schulen im Orient aufzuklären.

Der Mann war einer von vielen, ein durchschnittlicher älterer Berliner, der der Meinung war, die Ausländer sollten sich anpassen oder nach Hause gehen. Wie er sagte, hatte er ganz bestimmt „nichts gegen Türken oder Muslime“, sie wirkten „nur“ bedrohlich auf ihn. Sie waren hierhergekommen, ohne „uns“ zu fragen, und hiergeblieben, ohne darum ausdrücklich gebeten worden zu sein, und sie hatten sich hier auch noch richtig eingerichtet, mit ihren Geschäften, Moscheen und Kaffeehäusern. Aber noch schlimmer: Sie führten offenbar ein kollektives Eigenleben – der Fremde ist immer Mitglied einer Gruppe –, und das mußte eines Tages in „Rassenunruhen“ enden.

Im Moscheehof traf ich auffallend viele junge Türken, die mit ihren Vätern und Brüdern zum Festtagsgebet gekommen waren. Das Festefeiern hat seit den Anfängen der Arbeitswanderung, wie auch vieles andere, einen großen Wandel vollzogen. Viele türkische Arbeiter der ersten Stunde berichteten mir, daß es ihnen damals einfach verboten wurde, im Ramadan zu fasten. Man wohnte im Fabrikheim oder in den Baracken eines ehemaligen Arbeitslagers, die Aufseher waren immer präsent. Als Türken nachts für das letzte Essen aufstanden, wurden sie wieder ins Bett geschickt: „Euer Islam ist jetzt dreitausend Kilometer weit weg, hier gibt es kein Fasten.“ Die Meister und Chefs hatten Angst, daß die Türken ohne zu essen und zu trinken nicht ordentlich arbeiten und zudem Unruhe am Arbeitsplatz stiften würden. „So fasteten wir mit dem, was wir am Vorabend gegessen hatten, oder aßen heimlich im Dunkeln trockenes Brot im Bett und tranken das Leitungswasser auf dem letzten Toilettengang“, erzählten sie. An Festtagen wurde sowieso gearbeitet.

Waren solche Verbote „rassistische Unterdrückung“? Die Moderne betrachtete offen zur Schau getragene Religiosität immer und überall mit Unbehagen. Religion war ein Relikt des Mittelalters, unvereinbar mit der Aufklärung: Gefühl statt Verstand, rückschrittlich und irrational. Die Moderne hatte für Geheimnisse nichts übrig. So durfte etwa in der Türkei nach der Gründung der Republik eine Zeitlang von den Minaretten nicht auf arabisch zum Gebet aufgerufen werden – die Gebetsrufe mußten auf türkisch erfolgen, was ihnen alles Heilige, Geheimnisvolle nahm und sie zu profanem atonalen Gesang degradierte. Auch die unheimlichen Trommeln in der Nacht, die zum letzten Mahl vor dem Fasten weckten, wurden jahrelang verboten. Trotzdem blieben in der Provinz am Ramadan die Gaststätten stets geschlossen, und auch in den großstädtischen Haushalten, wo nicht mehr gefastet wurde, standen (meistens die Frauen) nachts auf, um ein Licht anzuknipsen und so ein Fasten gegenüber den Nachbarn vorzutäuschen. Viele gaben an zu fasten, obwohl sie es nicht taten – auf jeden Fall aß kaum jemand zu Ramadan etwas öffentlich. Allein diese Hinweise auf das Selbstverständnis der Menschen hätten genügt, um das heutige „Wiedererstarken“ des Religiösen vorauszusehen.

Die Moderne hat es nirgendwo vermocht, die Geheimnisse zu ersetzen, geschweige denn sie gänzlich abzuschaffen. Die Feste unserer Kindheit sind für die meisten von uns nur noch eine nostalgische Erinnerung, aber anscheinend ist sie so schön, daß wir unsere eigenen Kinder unbedingt daran teilhaben lassen wollen: in sauber geputzten, geschmückten Wohnungen, mit nach Zimt duftendem Gebäck oder schwergesüßtem Baklava, mit Pfefferminzlikör und Pralinen, mit morgendlichem Festgebet oder abendlichem Glockengeläut. Unsere Kinder sollen, unserem unverständlichen, fröhlichen Geplauder aus der Ferne lauschend, auch beruhigt einschlafen und träumen dürfen, egal in welcher Sprache auch immer. Dilek Zaptçioglu

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