piwik no script img

Fake Der diesjährige Oster-„Tatort“, „Wenn Liebe den Hass überwindet“, spielt im Magdeburger Salafisten-Milieu. Das Duo Matthäus/von Bora ermittelt unter dem Druck von besorgten Bürgern und einer mörderischen AfD-LandesregierungHeiliger Rock

Aus Magdeburg Martin Reichert

Es ist sehr früh am Morgen als die beiden Ermittler am Tatort eintreffen, einem stillgelegten Steinbruch in der Nähe der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt Magdeburg. Hauptkommissar Matthäus (gespielt von Nick Tschiller) und Oberhauptkommissarin von Bora (gespielt von Bibi Fellner) halten sich an ihren Pappbechern mit Filterkaffee fest.

Die Spurensicherung ist schon länger vor Ort, doch von der Leiche fehlt fast jede Spur: In provisorischen Felsengräbern werden die im Auftrag der neuen AfD-Landesregierung Hingerichteten verwahrt, in diesem Fall handelt es sich um den schnellgerichtlich verurteilten Salafisten Jesus N., ca. 30 Jahre alt. Eine politische aufgeladenen Situation: Seit Tagen gibt es Protestveranstaltungen in der Landeshauptstadt, besorgte BürgerInnen halten Transparente mit der Aufschrift „Hinrichtung reicht nicht“ hoch – und nun ist auch noch die Leiche verschwunden. Verschwörungstheorien machen die Runde: Wurde Jesus N. gar nicht hingerichtet? Steckt der CIA dahinter? Der Mossad? Die Presse? Merkel?

Die Polizei verständigt hatte zuvor die Prostituierte Maria M., die mit dem hingerichteten Jesus N. nach eigenen Angaben eine Beziehung unterhalten hatte. Sie war mit ein paar Freundinnen zu der Grabstätte gekommen, um ein paar Selfies für Facebook zu machen – und fand das Felsengrab leer vor. Unbekannte hatten den großen Stein davor weggerollt.

Ein linnenes Gewand von Hess Natur mit Blutflecken und ein Schweißtuch, ebenfalls aus Leinen, mit diesen Anhaltspunkten müssen sich Kommissar Matthäus, der gerade eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen illegaler Waffennutzung an der Backe hat, und die schwer alkoholkranke von Bora begnügen. Doch die beiden lassen sich ihre schlechte Laune von solchen Widrigkeiten nicht versauen, wie ihre gewohnt lakonischen Dialoge zeigen, die in der Netzgemeinde längst Kultstatus haben. „Tja, er wollte ja zu den Jungfrauen, der Herr Salafist. Vielleicht sollten wir mal in die Richtung ermitteln“, sagt Tschiller mit steinerner Miene, während er das Magazin seiner Walter wechselt. „Ja, ja, Jungfrauen“, erwidert von Bora und schnippt ihre Murati mit Aktivkohlefilter weg, „seine Mudda ist Jungfrau!“ Die Befragung von Maria M. stiftet zunächst eher noch mehr Verwirrung, es scheint, dass sie unter dem Einfluss von Crystal Meth steht. Sie berichtet von einem weiß gekleideten Bärtigen, womöglich ein Friedhofsgärtner, der in einer Sprache, die sie als russisch klingend empfunden hatte, den kryptischen Satz „Noli me tangere“ an sie gerichtet hatte, bevor er im angrenzenden Kiefernwäldchen verschwand. Hatte er den Leichnam im Auftrage des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB verschwinden lassen oder war der Gärtner nur eine absichtlich von der Regierung in Berlin gelegte Fährte, um Putin zu diskreditieren?

Kein leichtes Spiel also für das Team Matthäus/von Bora. Matt­häus verlässt in seinem Skoda Octavia Kombi den Tatort und unterhält sich unter Androhung von Waffengewalt und allerlei Türenschlagen mit den insgesamt zwölf in Magdeburg gemeldeten Nichtbiodeutschen – auch, um den im Internet geäußerten Vermutungen, dass es am Ende die Salafisten selbst waren, die den Leichnam hatten verschwinden lassen, den Wind aus den Segeln zu nehmen (“Hat aber alles nix mit nix zu tun“).

Von Bora wählt den behutsameren Weg und beschäftigt sich mit den näheren Umständen der Verhaftung und Hinrichtung des Jesus N. In den Gerichtsakten findet sie den Hinweis auf Judas I., der Jesus N. beim Landeskriminalamt angezeigt hatte. Judas I. gilt selbst als Salafist, von Bora hat aber den Verdacht, dass er ein V-Mann des Landeskriminalamts sein könnte. Andererseits, so erfährt von Bora in sensiblen Hintergrundgesprächen rund um den Magdeburger Hauptbahnhof, bei denen unzählige „Hasseröder“ konsumiert werden, sind ausgerechnet Judas I. und Maria M. gute Bekannte. Seit Jahren verkehren beide in ein und demselben Electronic-Body-Music-Club im Stadtteil Randau-Calenlebe.

Derweil hat Kommissar Matt­häus herausgefunden, dass es nach der Hinrichtung von Jesus N. in ganz Magdeburg nur noch einen einzigen Salafisten gibt, nämlich Judas I.

Es ist schon wieder dunkel in Magdeburg, als das Finale naht: Matthäus und von Bora rasen im Octavia nach Randau-Calenlebe. Mit einem Schuss aus seiner Walther erledigt Tschiller die Verstärkeranlage des Electronic-Body-Music-Clubs; das Licht geht an. An der Bar sitzt Maria M. und trinkt Gin Tonic, sie trägt ein hautenges T-Shirt mit dem Aufdruck „I love Jesus“. Aber mehr wird nicht verraten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen