FÜR EINE NEUE LINKSPARTEI SIND DIE GRÄBEN NOCH ZU TIEF : Wechselseitiges Grauen
Der Jubel über die Geburt einer gesamtdeutschen Linkspartei war ein wenig verfrüht. Nach der grundsätzlichen Einigung der Parteispitzen von PDS und WASG hat sich am Wochenende der Widerstand vor allem an der Basis der Wahlalternative verstärkt. Das ist verständlich. Um auf den Listen der PDS kandidieren zu können, hätten die westdeutschen Hartz-IV-Gegner nicht ihre WASG gründen müssen. Zu diesem Schritt haben sie sich entschlossen, weil die PDS auch und gerade im Gewerkschaftsmilieu der alten Bundesrepublik als unwählbar galt. So stark sich die WASG derzeit auch fühlt: Sie hat lediglich die Wahl zwischen zwei Formen des politischen Selbstmords. Sie kann das Angebot der PDS zurückweisen und damit in die politische Bedeutungslosigkeit sinken. Oder die Offerte annehmen, der PDS zur lange ersehnten Westausdehnung verhelfen – und sich damit ebenfalls überflüssig machen.
Weil die PDS-Strategen wissen, in welchem Dilemma die Verhandlungspartner stecken, sehen sie sich keineswegs zu Zugeständnissen veranlasst. Auch das ist aus der Perspektive der Akteure nachvollziehbar. Ein Scheitern des Linksparteiprojekts kann die PDS nicht schrecken, es kommt nur darauf an, dass die Schuld an der WASG hängen bleibt. Selbst bei der Bundestagswahl 2002, als Gerhard Schröders SPD dank Flut und Antikriegsrhetorik vor allem in Ostdeutschland Stimmen sammelte, gewann die PDS noch immer zwei Direktmandate. Heute ist Schröder längst kein Held mehr, und Gregor Gysi steht bereit, den dritten Wahlkreis für die Sozialisten zu erobern. Existenzsorgen braucht sich die Partei, die immerhin 60.000 Mitglieder zählt und an zwei Landesregierungen beteiligt ist, also nicht mehr zu machen. Da ist die Gefahr größer, die eigene Basis durch allzu große Zugeständnisse an einen vermeintlichen westdeutschen Chaotenhaufen zu verschrecken.
Man muss mit den Zielen einer Linkspartei nicht übereinstimmen, um die Gründung einer solchen Formation als Zeichen einer europäischen Normalisierung der politischen Kultur in Deutschland zu betrachten. Nur zeigt sich jetzt, dass der Graben zwischen Ost und West für eine solche Angleichung noch immer zu tief ist. RALPH BOLLMANN