piwik no script img

Archiv-Artikel

FRÜHER WAREN GEBURTSTAGE AUFREGEND. JETZT GEHT ES NUR NOCH UM ERREICHTES – ODER DOCH NICHT? Die Sache mit den Zahlen

Marlene Halser

Bald ist wieder einer dieser Tage. Einer dieser ganz schwierigen. Man nennt das auch Geburtstag. Man lässt sich feiern, sieht und hört die Liebsten, wird gedrückt und geherzt. Ich will keineswegs undankbar erscheinen und sage das deshalb ganz ausdrücklich: Das ist wirklich toll! Wenn da diese Sache mit den Zahlen nicht wäre.

Früher konnte man es ja kaum erwarten, wieder ein Jahr älter zu werden. Das erschrockene Gesicht meiner Mutter werde ich nie vergessen, als ich vor Aufregung so sehr auf und ab hopste, dass ich mit dem Kopf gegen das Kuchenblech stieß, dass sie für mich in Händen hielt. Es gab dann zu diesem Geburtstag keinen Kuchen – was mir nichts ausmachte. Schließlich war ich endlich ein Jahr älter geworden und damit dem Zeitpunkt ein Stück näher gerückt, von dem ich hoffte, man würde von Erwachsenen endlich für voll genommen. Dass dieser Zeitpunkt bei den eigenen Eltern niemals eintreten würde, wusste ich damals noch nicht.

Dieser Tag liegt lange zurück, die Zahl, die jetzt gefeiert wird, ist schon vor Jahrzehnten zweistellig geworden und steuert zielsicher auf ein Alter zu, von dem man annehmen würde, ich hätte vermeintlich Erstrebenswertes längst erreicht. Eine gehobene berufliche Stellung zum Beispiel, Mann und Kinder, ein Häuschen im Grünen. Nichts davon ist in meinem Leben zu finden. Was ist falsch gelaufen?

Auf der Suche nach Antworten habe ich neulich einen dieser seltsamen Tests im Internet gemacht. Man beantwortet 30 Fragen und erfährt sein „mentales Alter“.

„Manche Leute sagen zu mir, du benimmst dich wie eine Frau mittleren Alters“, steht da. Ich muss da an die batteriebetriebene Seifenblasenpistole denken, die ich mir diesen Sommer gekauft habe und von der J. sagt, sie sei infantil. Also: „nein“. „Tränen kommen bei mir häufig?“ Kennen Sie die Granini-Werbung, in der ein kleiner Junge zuerst schüchtern am Beckenrand steht und den Coolen beim Sprung vom Zehnmeterbrett zusieht? Dann aber –dramatische Musik – nimmer er sich ein Herz, erklimmt die Stufen. Genau! Schluchz! Also: „ja“. „Ich achte auf meine Klamotten und meine Haare?“ Eindeutig: „ja“. „Ich kann einen Käfer mit einem Buch erschlagen?“ Himmel! „Nein“. „Ich mache mich manchmal über andere Leute lustig?“ „Nein.“ Sollte man das? Der Generator rechnet ein bisschen. Am Ende steht da: „Mentales Alter: 26“.

Na toll, mein Kopf ist also gute zehn Jahre jünger als mein Körper? Auf der anderen Seite: Möchte ich wirklich für eine „Frau mittleren Alters“ gehalten werden, die sich äußerlich gehen lässt und die ob der Grausamkeit des Lebens keine Tränen mehr übrig hat, kaltblütig Insekten zur Strecke bringt und sich am Ungeschick anderer Menschen erfreut? Sekunde … Nein, ich denke nicht.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU KOLUMNE@TAZ.DE

Dienstag

Deniz Yücel

Besser

Mittwoch

Martin Reichert

Erwachsen

Donnerstag

Ambros Waibel

Blicke

Freitag

Michael Brake

Kreaturen

Montag

Josef Winkler

Wortklauberei

Wie nützlich solche Tests sind! Mein bisheriges Unvermögen, ein wertvolles, weil erfolgreiches und produktives Mitglied der Gesellschaft zu sein, ist also ganz eindeutig eine Frage mangelnder Motivation. Alles in Ordnung, also?

Liebe Gratulanten, nehmt euch in Acht. Ich werde auch diesmal wieder vor Freude hopsen.