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Archiv-Artikel

FRANKREICHS STAATSPRÄSIDENT CHIRAC TAUSCHT DEN REGIERUNGSCHEF AUS Neuer Kopf, altes Programm

Zwei Tage nachdem 55 Prozent der Franzosen „Non“ zur EU-Verfassung gesagt haben, tauschte Staatspräsident Chirac gestern in Paris seinen Regierungschef aus. Er ließ den in allen politischen Lagern unpopulären Jean-Pierre Raffarin ziehen. Stattdessen engagierte er Dominique de Villepin.

Im Matignon-Palast wird fortan statt des derben Mannes aus der Provinz ein vornehm zurückhaltender Herr aus der Pariser Elite residieren, dessen Vibrato-Stimme weltweit bekannt ist, seit er im Februar 2003 im Weltsicherheitsrat seine Rede gegen den Krieg im Irak hielt. Für atmosphärische Veränderungen ist damit gesorgt. Die Inhalte der Pariser Politik werden dieselben bleiben.

Der Graben zwischen unten und oben, der seit dem Referendum vom Sonntag deutlicher klafft als je zuvor, könnte sich sogar vertiefen. Denn de Villepin war Außenminister, als die abgelehnte EU-Verfassung geschrieben wurde. In der Kampagne vor dem Referendum trat er als einer der prominenten Befürworter des Textes auf. Niemand kann erwarten, dass ausgerechnet er nun die Forderungen und Kritiken seiner Landsleute überzeugend nach Brüssel und in die anderen europäischen Hauptstädte trägt. Auch sozialpolitisch dürfen an den gelernten Diplomaten keine hohen Erwartungen gerichtet werden. Und was die demokratische Legitimation betrifft, hat er gar nichts vorzuweisen: de Villepin hat eine Karriere im Apparat gemacht. Einer Wahl hat er sich nie gestellt.

Was aussehen soll wie eine schnelle Reaktion auf das massive „Non“ des Volkes, ist nichts als Kosmetik. Chirac, der vor drei Jahren unter dramatischen Umständen in einem Duell gegen den Rechtsextremen Le Pen zum Präsidenten gewählt wurde, hatte zahlreiche Gelegenheiten, den Wählern einen sensiblen Umgang mit ihren Botschaften zu zeigen. Er hat keine davon genutzt. 22 Monate vor der nächsten Präsidentschaftswahl hat er jetzt mit de Villepin einen besonders engen Vertrauten in den Matignon-Palast geholt, um die eigenen Reihen enger zu schließen. Mit einer politischen Umsetzung des französischen Wählerwillens hat das nichts zu tun.

DOROTHEA HAHN