FRANKREICH: VIEL MISSTRAUEN, VIEL RHETORIK, VIEL EKEL : Le Pen liegt auf der Lauer
„Das ist nicht mehr eine Regierung, sondern ein Schlachtfeld!“, rief François Hollande, der Parteichef der französischen Sozialisten, vor der Nationalversammlung aus. Wie viel ehrliche Empörung, Verzweiflung und wie viel hämische Schadenfreude klang in seiner bebenden Stimme mit, als er seinen Misstrauensantrag gegen Dominique de Villepin begründete? Ein „Krieg der Clans“ tobe gar an der Spitze der Republik! Ein Krieg? Wie viele Divisionen, wie viele Opfer? Der Premierminister lächelte, während die Sprecher der Opposition sich am Rednerpult ereiferten. Keiner der Abgeordneten der Regierungspartei UMP, die mit 364 von 577 Sitzen die absolute Mehrheit besitzt, konnte es sich leisten, gegen den Angegriffenen zu stimmen. Da er nichts zu befürchten hatte, wischte er die Argumente als Verleumdungen und Gerüchte weg. Seine Selbstsicherheit ist die eines zynischen Politikers, der nichts mehr zu verlieren hat.
Doch keine Mehrheit gegen ihn bedeutet keineswegs eine Mehrheit für ihn. De Villepin regiert nur noch von Tag zu Tag, unter dem resignierten Schutz von Präsident Jacques Chirac, mit dem er außer einer gehässigen Rivalität mit UMP-Chef Nicolas Sarkozy auch einige Geheimnisse teilt. Als Fernsehpublikum verfolgt die Nation die Affären, Geheimdienstoperationen und Rufmordversuche eher fatalistisch und ohne echte Betroffenheit. Alle Enthüllungen bestätigen bloß das illusionslose Bild, das sich die meisten Bürger von „denen da oben“ machen.
Nur einer reibt sich da die Hände: Der Rechtsaußen Jean-Marie Le Pen kann damit rechnen, dass er von dieser Politikverdrossenheit auch bei den nächsten Wahlen wieder profitiert. Der Ekel vor der Politik insgesamt stammt vom Widerwillen vieler Franzosen gegen das trostlose Sittengemälde der Fünften Republik am Ende von Chiracs Amtszeit. Doch bei weitem nicht alle sind für Le Pens Parolen anfällig – das haben kürzlich hunderttausende von überwiegend jungen Leuten bewiesen, die bei ihrem wochenlangen Widerstand gegen den Erstanstellungsvertrag CPE die Politik von ihrer besten Seite selbst entdeckt – oder sie für die Augen anderer rehabilitiert haben.
RUDOLF BALMER