FIXPUNKTE IM FREMDEN : Wo geht’s zu Gorki?
Nun also Berlin. So groß und unübersichtlich ist dieses Monstrum von Stadt doch auch wieder nicht! Oder doch? Zumindest wenn man sich in Mitte bewegt, ist da ja immer noch der Fernsehturm. An dem kann man sich in der Not doch ausrichten. Etwa so wie ein orientierungsloses Schiff in der Dunkelheit am Leuchtturm.
Als ich mich mit meiner Freundin auf den Weg zum Maxim-Gorki-Theater begeben will, erweist sich diese Theorie allerdings als suboptimal. Von der Rudi-Dutschke-Straße laufen wir, an Springers vorbei, Richtung Hackescher Markt. Zwischen dessen S-Bahn-Station und der Friedrichstraße soll unser Ziel angeblich gelegen sein. Wir müssen uns also mit Blick auf den TV-Turm einfach leicht links halten. Einen nützlichen Fixpunkt haben die Berliner da, sollte man meinen. Gefühlt kommen wir dem Ziel keinen Schritt näher, wie eine Fata Morgana reflektiert der Fernsehturm die tiefstehende Sonne aus immer gleich wirkender Entfernung.
Linderung von Durst und Orientierungslosigkeit verspricht endlich ein Späti an der U-Bahn-Station Hausvogteiplatz. Die vielleicht auch letzte Zuflucht vor einer drohenden Beziehungskrise. Mit einer kühlen Club-Mate in der Hand wende ich mich an den Mann hinter der Kasse. „One euro and fifty cent“ möchte er von mir haben. Sind wir wirklich schon so weit im Zickzack gelaufen, dass hier nicht mal mehr Deutsch gesprochen wird?
Notgedrungen frage ich ihn auf Englisch nach dem Weg. Er will mich zur S-Bahn-Station Friedrichstraße schicken. So richtig heimisch scheint er mir hier auch noch nicht geworden zu sein. Ich nicke seinen Rat ab, ohne ihm glaubhafte Ortskundigkeit zuzugestehen. Beim Verlassen seines Ladens höre ich ihn im saubersten Berlinerisch den nächsten Kunden begrüßen: „Dit macht dann 4,99 Euro.“
TOBIAS NOLTE