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FINANZPOLITIK: DIE SOZIALBEITRÄGE MÜSSEN NOCH WEITERFALLEN Neuer Spielraum für Verteilung

Ein beliebtes Spiel: Hat die Regierung irgendetwas beschlossen, verlangen im Jahr danach alle möglichen Leute, den Beschluss wieder zurückzunehmen. Käme die Regierung dieser Aufforderung nach, würde sie ein großes Durcheinander produzieren – und niemand wüsste mehr, womit er eigentlich zu rechnen hat. Daher ist es nachvollziehbar, dass die große Koalition ihrer Ansage treu bleibt, die Mehrwertsteuer zum Anfang kommenden Jahres um 3 auf 19 Prozent anzuheben. Allerdings sollte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück mehr Geld als geplant in die Senkung der Sozialabgaben stecken – eine wichtige Voraussetzung dafür, dass mehr Arbeitsplätze entstehen.

Der Verteilungsspielraum – da haben Steinbrücks Kritiker in Wirtschaft und Gewerkschaften Recht – ist tatsächlich größer geworden. Während die Staatseinnahmen in den vergangenen Jahren oft zurückgingen, deutet sich nun das Gegenteil an: Investitionen und Wachstum steigen, die Steuern fließen besser. Vielleicht hält Deutschland dieses Jahr sogar den Maastricht-Vertrag ein – ganz ohne die 23 Milliarden Euro aus der Erhöhung der Mehrwertsteuer. Dieses Geld wird den Verbrauchern und Unternehmen ab Januar 2007 fehlen – und trotzdem braucht es der Staat ganz dringend. Die Mittel geben der Regierung die Möglichkeit, die Sozialabgaben zu senken. Einen der drei Mehrwertsteuer-Prozentpunkte will Schwarz-Rot zwar schon in die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung stecken, aber mehr wäre besser. Denn ein wesentlicher Konkurrenz-Nachteil deutscher Unternehmen gegenüber dem Ausland besteht in den hohen Sozialabgaben.

Steinbrück weiß das. Praktisch passiert aber viel zu wenig. Aus kurzfristigem Ressortinteresse heraus teilte er seinen Ministerkollegen gestern erneut mit, dass er nicht bereit sei, mehr Steuergeld ins Sozialsystem zu stecken. Wobei klar ist, dass das Gegenteil eintreten wird. Mehr Alte, weniger Junge: Wer die Beschäftigten nicht ständig mit höheren Abgaben belegen und ihre Arbeit damit unattraktiver machen will, braucht zusätzliche Steuer-Milliarden – über die höhere Mehrwertsteuer hinaus. Einen Plan dafür sucht man im Koalitionsvertrag vergebens. HANNES KOCH