FELIX LEE POLITIK VON UNTEN : Schwarz-Gelb verbindet
Je ferner eine linke Regierungsoption rückt, desto größer wird eine neue außerparlamentarische Opposition
Einer der liebsten Sprüche von den außerparlamentarischen Linken lautet: „Könnten Wahlen etwas ändern, dann wären sie verboten.“ Besonders vor einer Wahl berufen sich soziale Bewegungen gern darauf und bringen mit diesem Credo ihre Unzufriedenheit mit Parteien und parlamentarischer Politik im Allgemeinen zum Ausdruck. Bei dieser Bundestagswahl scheint dies aber anders zu sein.
AtomkraftgegnerInnen gehen drei Wochen vor der Bundestagswahl zu Zehntausenden auf die Straße und verscheuchen anders als in den Jahren zuvor auch nicht die vielen Fahnenträger der Grünen aus ihren Reihen. Auf der großen Datenschutzdemo eine Woche später machen die Initiatoren kein Hehl daraus, bei wem sie ihr Kreuzchen am Wahlsonntag machen werden (Piratenpartei). Und auch aus der ganz linken Ecke gibt es zwar kein unmittelbares Wahlplädoyer. Der sogenannte Krisenaktionstag zehn Tage vor der Bundestagswahl dürfte aber auch nicht zufällig terminiert worden sein. Stärker denn je nehmen linke Bewegungen Bezug auf die Politik von oben.
Auf den ersten Blick mag das überraschen, ist am 27. September doch nicht wirklich mit einem grundlegenden Politikwechsel zu rechnen. Auf den zweiten Blick aber ist der Wahlbezug weniger erstaunlich: Denn je geringer die Chancen auf eine linke Regierungsoption werden, desto mehr rücken soziale Bewegungen und linke Parteien zusammen. Die Ressentiments der vergangenen Jahre treten in den Hintergrund. Stattdessen scheint sich wieder eine große linke Opposition zu formieren.
Dies wäre keineswegs ein neues Phänomen. Anfang der 80er-Jahre, als sich das Ende der sozialdemokratischen Ära schon abzeichnete, gab es die größten sozialen Bewegungen überhaupt. Die Atomkraftgegner erlebten mit ihren Protesten in Gorleben ihren vorläufigen Höhepunkt, Friedensbewegte gingen zu Hunderttausenden auf die Straße und auch sonst florierte die außerparlamentarische Opposition.
Ganz so weit wie damals sind die Bewegungen 25 Jahre später zwar nicht. Aber wer weiß: Schwarz-Gelb ausgerechnet im Krisenbewältigungsjahr könnte vielleicht doch noch den einen oder anderen mehr auf die Straße bringen.
■ Der Autor ist taz-Redakteur für soziale Bewegungen Foto: Wolfgang Borrs