FEIERN, FANS UND FERNSEHEN : Alle sind lauter als die Brasilianer
ANDREAS BEHN
Alle paar Tage die gleiche Frage: Wo gucke ich das Brasilien-Spiel? Es gibt Optionen mit Großleinwand und viel Gewühl, die Kneipe nebenan oder doch lieber in Ruhe zu Hause? Gegen Chile fiel die Wahl auf den Stadtteil Leme, am Ende der Copacanaba, wo danach Party angesagt ist, egal wer das Spiel gewinnt. Der nagelneue Bildschirm ist etwas weit weg, vielleicht 40 Leute sitzen halb gespannt an Tischen auf dem Gehsteig vor dem Restaurant. Wenn hier am Wochenende Livemusik geboten wird, sind es mehrere Hundert.
Schon vor der Verlängerung wird über die Mannschaft gelästert. Wenn afrobrasilianische Spieler Fehler machen, kommt schnell ein rassistischer Spruch, so subtil wie selbstverständlich. Irgendwann ist der Nervenkitzel vorbei, es wird kurz und erleichtert gejubelt.
Wenig später, an einem völlig überfüllten Strandkiosk, beginnt mit dem Spiel Kolumbien gegen Uruguay das WM-Feeling. Auch hier gelbe T-Shirts, aber von den Kolumbianern, spanische Gesänge, Tröten, Schreie, ohrenbetäubende Stimmung ohne Pause. Was ist los mit den Brasilianern, die zwar zu Tausenden die Copacabana entlangschlendern und gut gelaunt sind, aber im Vergleich zum Fußballwahn der Besucher aus den Nachbarstaaten keine richtige Party zustande bringen?
Okay, das mittelmäßige Auftreten der Seleção gibt wenig Anlass für Enthusiasmus. Auch die Angst, dass es nicht für den Titel reichen wird, schlägt aufs Gemüt. Doch die fehlende Hochstimmung, die spärlich geschmückten Straßen und die Alltäglichkeit des Alltags im Gastgeberland zeigt, dass diese WM doch anders ist. Zu lange und mit zu guten Argumenten ist diese Fifa-WM infrage gestellt worden. Und die Kritik, der die große Mehrheit der Bevölkerung mehr oder weniger zustimmt, ist weder von der Regierung und schon gar nicht von der Fifa entkräftet worden. Dabei geht es nicht um für oder gegen die WM, sondern um das Wissen, dass viel Schindluder getrieben, viel Geld verschwendet wurde und dass der Fußballkultur Brasiliens kein Gefallen getan wurde.
Spiele zur Hitze der Mittagszeit, damit die Fifa mehr Werbeeinnahmen bekommt, machen für die Brasilianer keinen Sinn. Irgendwie sind sie von dem Ganzen doch ein wenig ausgeschlossen. Dass nur die Weißen und Reichen in den Stadien sitzen, ist dabei bloß eine Fußnote. Doch wie die wirklichen Fußballfans darauf reagieren, illustriert, dass etwas nicht stimmt: Vor dem Chile-Spiel taten sich Fangruppen im Internet zusammen, um Faltblätter mit Parolen und Gesängen für die brasilianischen Stadionbesucher zu produzieren. Die unerfahrenen Zuschauer sollten dem lautstarken chilenischen Anhang Paroli bieten. 40.000 Flugblätter ließen die Fans drucken, die ernst gemeinte Initiative kostete sie immerhin 400 Euro.
Genutzt hat es nicht viel, auch weil die Fifa ja keine Musikinstrumente in den Stadien zulässt. Nur die chilenische Nationalhymne wurde lautstark niedergepfiffen – für viele Brasilianer vor den Fernsehern die bisher größte Schande dieser WM.