FASCHING IN DER U6 : Du bist nicht schwul
„Wie viele Halswirbel hat eine Giraffe?“, fragt die Frau mit dem Smartphone ihre Sitznachbarin und gibt sich die – falsche – Antwort gleich selbst: „27, schätze ich mal.“ Quizduell. Ich hab das gerade hinter mir.
Als die U6 am Leopoldplatz hält, steigt der Faschingsmann ein. Ist doch Fasching grade, denke ich, ohne wirklich sicher zu sein, aber Googeln wäre jetzt doch übertrieben. Der Mann ist kompakt und von dunklem Teint, im Gesicht trägt er eine riesige Plastikbrille. Faschingsverdächtig macht ihn vor allem seine Frisur: Den Haarschopf hat er oben zu einem rosaroten Iro gegelt, in den kurzgeschorenen Hinterkopf ist ein Vorname, vermutlich sein eigener, rasiert.
„Seid ihr verwandt?“ Der Faschingsmann wendet sich an zwei, die ihm schräg gegenübersitzen und sich leise unterhalten, ein kleiner Hagerer mit grauen Haaren und ein jüngerer mit Mittelscheitel. „Ihr seid Vater und Sohn, ’ne? Hab ich sofort gesehen.“ Die beiden lächeln verhalten.
„Du bist doch nicht schwul, oder?“, macht der Faschingsmann weiter, die Frage geht an den Jungen. „Nee, ne? Du bist nicht schwul, das merke ich. Aber du siehst trotzdem echt top aus. Die Mädels werden noch Freude haben mit dir.“ Vater und Sohn, so sie es denn sind, reagieren nicht – wie denn auch. Dass der Junge nicht „echt top“ aussieht, weiß er wohl selbst, und in welche Richtung die ganze Anmache geht, bleibt unklar.
Der Faschingsmann tönt noch ein paar Stationen weiter, seine Platte hat einen Sprung. „Die Mädels werden ’ne Menge Spaß mit dir haben“, ruft er noch mal beim Aussteigen.
An der Endstation trotte ich zum Bus. Da stehen sie vor dem Fahrplan, Vater und Sohn, und unterhalten sich immer noch. Jetzt höre ich es: Sie sprechen Französisch. CLAUDIUS PRÖSSER
PS: Eine Giraffe hat 7 Halswirbel, genau wie der Mensch.