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■ FARID BOUDJELLALS "FANATIKER" IM ALLTAGVorsicht: Aktuelle satanische Comics!

Vorsicht: Aktuelle satanische Comics!

„Oh nein“, stöhnt Momo Ismael, der älteste Sohn einer nordafrikanischen moslemischen Einwandererfamilie in Paris, als diese gemeinsam vor dem Fernseher sitzt. „Nie wieder Internationale Guerilla! Seit zehn Tagen zeigst Du uns diesen scheußlichen Film! Die Art und Weise, wie sie Salman Rushdie verbrennen, ist absolut unmenschlich.“ Der Vater souverän: „Das ist Kino!“ „Zum Glück“, gibt der Erstgeborene zurück, „ich frage mich, was sie machen würden, wenn sie ihn wirklich kriegten!“ Darauf mit grimmigem Grinsen der ebenso schlagfertige wie verbohrte Alte: „Ein Remake!“

Nach Jude-Araber, einer ebenso einfachen wie gelungenen Entmystifizierung des arabisch-israelischen Konflikts in der für alle verständlichen Sprache des Comics, ist nun Farid Boudjellals zweiter Band Fanatiker in deutscher Übersetzung erschienen (Semmel-Verlach, 28DM), in dem der Zeichner sein Hauptaugenmerk auf den alltäglichen Fanatismus richtet, seine enge Verwandtschaft mit totalitärem und faschistischem Gedankengut nachweist und der hochverdienten Lächerlichkeit zuführt. Keiner kann den Glauben des anderen respektieren, obwohl sie doch sozusagen Tür an Tür leben. Dabei bleiben seine verstockten Helden — ein Priester, ein Jude, ein Moslem nebst Familien der beiden letzteren — trotz allen Streits und geradezu atemberaubender Intoleranz menschlich, und damit auch sympathisch. Vor allem die offensichtlich bereits in Frankreich geborenen Kinder Momo und Ysa vertragen sich viel besser als ihre Väter und wehren sich zunehmend gegen deren allzu einfache Weltsicht. Schließlich lieben sich die beiden, was ihre Väter natürlich kaum glauben können. Die Frauen Israel und Ismael — vereint in der Unterdrückung durch ihre Männer — verstehen sich ebenfalls prima. Sie kriegen sich nur einmal in die Haare, als es um die Frage geht, ob die — noch ungeborenen — Kinder von Momo und Ysa nun jüdische Araber oder arabische Juden sein werden.

Der 38jährige Farid Boudjellal wurde in der südfranzösischen Stadt Toulon geboren. Seine Eltern sind Algerier. Seine gesellschaftliche Stellung als „Beur“ und die damit verbundenen Erfahrungen haben sein Leben und seine künstlerische Arbeit stark geprägt. Seine Frau Brigitta, Italienierin aus einer streng katholischen Familie, koloriert die Zeichnungen. Die ersten Arbeiten veröffentlichte Boudjellal 1978 in den Zeitschriften 'Circus‘ und 'Charlie Mensuel‘. Ein halbes Dutzend Bücher folgten. 1990 dann erschienen in Frankreich die ersten zwei der als Trilogie angelegten Bände Jude-Araber und fanden reißenden Absatz. Er erhielt einige Auszeichnungen, darunter den Preis für das beste Buch „Gags à l'Harissa“ auf dem Festival von Creil und die „Témoinage — Chretien — Résistances“ beim „Salon International de la Bande Dessinée“ in Angouleme 1989 für l'Oud. „Ich will niemanden demütigen“, sagt Boudjellal. Doch „der arabisch-israelische Konflikt mit all seinen Widersprüchen ist für den Humor eine Goldgrube.“

Ein paar Seiten weiter erfährt das oben zitierte „Satanische Fernsehen“ eine überraschende Fortsetzung. Momo sitzt mit seiner jüdischen Freundin Ysa auf einer Parkbank. Er ist verzweifelt. „Ich bin ein Fanatiker“, schluchzt er. „Aber nein, warum sagst Du sowas?“ „Ich konnte diese Videokassette meines Vaters einfach nicht mehr ertragen.“ „Na und?“ Momo heulend: „Ich hab' sie verbrannt!“

Boudjellal hat einen recht einfachen, fast klobigen Federstrich. Seine Dialoge entlarven oft mit wenigen Worten, wie zäh sich fanatische Sturheit halten kann, wenn sie einmal in die Köpfe gebrannt wurde. Den quasi-fanatischen Nationalstolz vieler Franzosen kratzt er genial in dem Stück: Ich bin stolz, ein ... zu sein. Darin stellt Momo seinem Kumpel die Frage: „Wenn ich ein französischer Moslem bin und Ysa eine Jüdin aus Frankreich, sag mir, was Du bist?“ „Franzose!“ antwortet der trocken, macht aber ein Gesicht, als habe er soeben erfahren, alle männlichen Franzosen unter einssiebzig würden demnächst einer neuen EG- Norm wegen füsiliert.

Natürlich sind die meisten Comics auf Frankreich zugeschnitten, fremd sind uns die Konflikte jedoch keineswegs. Und der Priester, der einen noch immer gesuchten Ex-Kollaborateur versteckt und ihm eines Tages leichtsinnigerweise in der Priesterkutte Freigang gewährt, kommt nicht ein Stück besser weg als die beiden anderen, deren kleine Kinder der fanatische Katholik in der Art eines schwarzgewandeten Onkel Dittmeyer mit Bonbons und dem Lächeln eines von heiliger Gicht Befallenen in das Haus des Herrn locken will.

Hübsch die kurz aufkommende Überlegung, Raubkopien der beiden Bände würden ihren Weg millionenfach nach Israel, in die arabische Welt, aber auch in den Vatikan und so manche Diözese finden. Immerhin eine kleine Ohrfeige für alle, die vom Haß oder dem Glauben leben und in irgendeiner Weise Kapital daraus schlagen. Philippe André

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