Explosive Stimmung bei Eintracht Frankfurt: Existenzielle Angst trotz Daum
Eintracht Frankfurt will sich dem Druck der Fans nicht beugen und flieht aus Angst vor Übergriffen ins Trainingslager. Die Krise im Verein ist kaum beherrschbar.
FRANKFURT taz | Seit geraumer Zeit wird in der Nordwestkurve der Frankfurter Arena bei Eintracht-Heimspielen ein fragwürdiges Plakat geduldet. Aufschrift: "Kein Kick ohne Randale." Aufgehängt von den immer wieder latent gewaltbereiten Ultras, die nun sogar ein Novum in der Branche provoziert haben: Weder am Sonntag noch am Montag trainierten die Profis des Drittletzten der Bundesliga auf den sonnenüberfluteten Rasenplätzen am Stadion - Polizei und Sicherheitsdienste hatten aus Angst vor Übergriffen davon abgeraten.
Immerhin: Weil der Klub, der in der größten Krise seit dem Wiederaufstieg 2005 steckt, nicht bereit ist, sich von einem Teil der eigenen Fans einschüchtern und vertreiben zu lassen, wird am Dienstag demonstrativ auf dem angestammten Terrain geübt.
"Es stehen zwei Einheiten an, danach werden wir überlegen, ob wir noch ein Kurztrainingslager beziehen", teilte Vorstandsvorsitzender Heribert Bruchhagen mit. Das soll voraussichtlich ab Mittwoch in der fast drei Autostunden entfernten Bierstadt Bitburg durchgeführt werden. Man darf dies ruhig als Flucht vor einer neuen Form der Eskalation interpretieren, auch wenn es als sicher gilt, dass am Dienstag beim Training nichts passieren wird.
Michael Gabriel, Leiter der in Frankfurt ansässigen Koordinationsstelle Fanprojekte und selbst Eintracht-Fan, beobachtet die Lage mit Sorge: "Die sportliche Situation in Frankfurt hat sich existenziell zugespitzt: Wut und Enttäuschung suchen sich ein Ventil. Aber: Durch solche Aktionen wird der Fußball und die Bedeutung der eigenen Gruppe maßlos überhöht. Die Leute haben verlernt, dass Fußball nur ein Spiel ist, bei dem es zwangsläufig immer Gewinner und Verlierer gibt."
Die ohnehin als Risikospiel eingestufte Heimpartie gegen den 1. FC Köln am Samstag trägt eine fast schon explosive Endzeitstimmung in sich, der selbst der verpflichtete Starkredner Christoph Daum kaum mehr etwas entgegenzusetzen weiß.
Das böser Wort vom Rücktritt
Der Notretter hat mit seinem Aktionismus wenig bewirkt - drei Punkte aus fünf Spielen sind, gemessen an seinen Ankündigungen, ein Armutszeugnis. Dass der 57-jährige Trainer am Saisonende wieder in seine Villa in Köln-Hahnwald zurückgeht, steht so gut wie fest.
Aber auch Bruchhagen gerät intern in die Schusslinie. Von Rücktritt will er nicht reden, "es handelt sich um Bundesliga-Fußball, da haut man nicht einfach so ab." Der 62-jährige Vereinschef nennt sich gleichwohl selbst einen "Hauptverantwortlichen"- und nach dem Willen des Aufsichtsrats würde ihm lieber heute als morgen ein Sportchef zur Seite gestellt. Überall tun sich Gräben auf: Die Foren und Blogs auf der Vereinswebsite mussten wegen teils wüster Schmähungen inzwischen geschlossen werden.
Und die Ultras wehren sich massiv gegen den Vorwurf, die jüngste Konfrontation am Samstagabend vor der Arena mit der Polizei angezettelt zu haben. Der Warnschuss eines Beamten sei unverhältnismäßig gewesen, heißt es auf ihrer Internetseite.
Empfindliche Strafe droht
Die Frankfurter Ultra-Gruppierung gilt als die mächtigste innerhalb der Liga. Grund: Zum einen scheint die Überzahl der friedlichen Sympathisanten aus den Fanklubs und der Fanabteilung offenbar nicht bereit, sich abzugrenzen, zum anderen hat die Vereinsführung die Freiräume der keinesfalls homogenen Vereinigung, in der auch Hooligans gern unterschlüpfen, nie wirklich beschnitten.
Gabriel: "Die Anhänger sind oft sehr jung, hier findet sich eine jugendliche Subkultur, die ihren Mitgliedern ein hohes Wertschätzungs- und Anerkennungspotenzial bietet." Und sei es mit geschmacklosen oder gewalttätigen Aktionen: Erinnert sei nur an ein Video "Pfalzüberfall 2010 - Schlachtfest in Kaiserslautern" im Oktober vergangenen Jahres oder im März dieses Jahres der Angriff auf eine S-Bahn vor dem Heimspiel gegen Kaiserslautern.
Die Eintracht zählt mutmaßlich zu jenen Klubs, bei denen das DFB-Sportgericht bei der nächsten Verfehlung eine Platzsperre à la St. Pauli verhängt. All das lastet schwer auf einem Klub, der am Dienstag wieder eine turnusgemäße Vorstandssitzung zu all den drängenden Fragen abhält- zuvor soll sich auch der ansonsten so redselige Fanbeauftragte Marc Francis öffentlich nicht äußern. Bei so viel Explosionsgefahr ist das durchaus ratsam.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen