Expertin über Mobilität in der Stadt: „Autos sind nicht für alle die Lösung“

Katja Diehl über europäische Vorreiterstädte, das Auto als Safe Space und in welchen Situationen auch sie mal hinterm Steuer sitzt.

Spielende Kinder und vereinzelt Erwachsene in einer städtischen Straße. Wenige Autos parken am Straßenrand. Es ist Sommer.

Wir brauchen auch in Deutschland autofreie Stadtbezirke wie in Barcelona - meint Katja Diehl. Foto: Stefanie Loos

taz lab, 06.04.2023 | Von CLEMENS HAUCAP

taz lab: Frau Diehl, wann sind Sie das letzte Mal Auto gefahren?

Katja Diehl: Ich fahre immer Auto, wenn ich im ländlichen Raum bei meinen Eltern bin, um sie zu Ärz­t:in­nen zu bringen.

In der Stadt aber gar nicht mehr?

Mein Vater ist sehr vulnerabel, weshalb ich zu Beginn der Pandemie öfter Mietwagen gefahren bin. Ich habe es aber gehasst, weil ich immer auf größere Autoklassen upgegradet wurde, wodurch dann auch das Parken schwieriger wurde. Ich bin froh, in der Stadt kein Auto fahren zu müssen.

Existieren in der idealen Stadt der Zukunft denn überhaupt noch Autos?

Autos existieren auf jeden Fall noch – sie werden aber geteilt und klein und beispielsweise eher für Leute mit Behinderung sein. Das Ziel einer Stadt, in der alles in 15 Minuten erreichbar ist, finde ich super.

Mobilität veränderst du nur, wenn Räume wieder gesünder werden. Durch das Auto haben wir sie ungesünder gemacht, weil dadurch die Entfernungen immer größer werden.

Katja Diehl sitzt vor einer beigen Wand.

ist deutsche Autorin, Podcasterin und Verkehrswende-Aktivistin. Nach ihren Anfängen als Journalistin und Pressesprecherin und 15 Jahren Erfahrung in leitenden Positionen bei Unternehmen der Logistik- und Mobilitätsbranche teilt sie ihre Vision einer menschengerechten und klimafreundlichen Mobilität und berät Unternehmen und Start-ups bei der Zusammenarbeit.

Foto: Charlotte Schreiber

Welche konkreten Schritte bringen uns diesem Ziel näher?

Wir müssen Parkraum bepreisen und verknappen. Es ist absurd, dass wir im Klimanotfall so viel Fläche versiegeln. Parkraum vor Supermärkten oder in Parkhäusern muss mehr genutzt werden, damit Autos aus Wohnstraßen rauskommen.

Weitere Schritte sind Freizonen, Temporeduzierung oder die „Vision Zero“ wie in Helsinki: Dort ist es Ziel, dass kein Mensch mehr im Straßenverkehr stirbt. Seit 2015 ist dort kein Kind mehr im Straßenverkehr gestorben, 2019 sogar keine einzige Person.

Müssen viele Menschen letztlich dazu gezwungen werden, aufs Auto zu verzichten?

Du wirst die Menschen nie aus dem Auto holen, wenn du keine Privilegien einschränkst. In Barcelona gibt es Superblocks, wo man nicht durchfahren oder parken darf.

Anfangs bestand noch die Befürchtung, dass sich der Verkehr dadurch einfach verlagert. Herausgestellt hat sich, dass Leute das Auto dann tatsächlich abschaffen, weil sie raus aus der Routine müssen.

Das Konzept Eigenverantwortung, auf das die FDP schwört, wird nicht funktionieren.

Muss die Mobilitätswende auch solidarisch sein, beispielsweise antirassistisch oder feministisch?

Das ist komplett mein Thema, intersektionale Verkehrswende.

Was hat das denn überhaupt miteinander zu tun?

Leute, die nicht der weißen Mehrheitsgesellschaft angehören, sehen Autos oft als Safe Space. Sie werden an Haltestellen geschlagen, in Bussen angespuckt und entscheiden sich deshalb fürs Auto.

Gleichzeitig haben 13 Millionen Erwachsene keinen Führerschein – Autos sind also nicht für alle eine Lösung. Wir brauchen sichere öffentliche Räume.

Also einfach mehr Security an Bahnhöfen und Bushaltestellen?

Die gesamte Security-Branche finde ich nicht so gut. Das sind häufig Subunternehmen von Subunternehmen.

Ich denke eher in die Richtung vom Personal der Deutschen Bahn. Im Idealfall eine freundliche Person, die Auskunft erteilen und helfen kann. Ein netter Raum wie die DB-Lounge auf einem niedrigeren Niveau, aber für alle zugänglich.

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Gibt es heute schon deutsche Vorreiterstädte in der Verkehrswende?

Ich hoffe, dass es irgendwann eine deutsche Stadt gibt, wo man das so spürt wie in Barcelona, Paris oder Helsinki. Momentan aber noch nicht. Bei uns ist es hauptsächlich die Zivilgesellschaft, die Dinge vorantreibt, weil sich viele Po­li­ti­ke­r:in­nen noch scheuen, die Privilegien des Autos anzupacken.

Katja Diehl live auf dem taz lab: um 9 Uhr im Stream 2.