Exorzismus im Kommen: Und erlöse uns von dem Bösen
Seit 1998 gab es mehrere offizielle Exorzismen in der katholischen Kirche Deutschlands - aber noch viel mehr inoffizielle. Denn die Nachfrage nach Teufelsaustreibungen steigt.
Wenn die gequälte Kreatur nicht gerade unter der Decke hängt, legt der Exorzist seine Hände auf ihren Kopf. Der mit einer violetten Stola gekleidete Priester betet auf Latein: "Der Feind soll nichts gegen ihn ausrichten, und der Sohn des Verderbens ihm nicht schaden." Dem angeblich Besessenen, zuvor mit gesegnetem Wasser besprengt, zeigt er ein Kreuz: "Flieht, ihr feindlichen Mächte." Es folgt das Anblasen des Leidenden, ein paar Exorzismusformen (Siehe Kasten), ein Dankgebet und der Schlusssegen - fertig. Der Dämon ist fort. Oder?
Zumindest das Thema Exorzismus sucht die katholische Kirche wieder heim. Vor zehn Jahren, am 1. Oktober 1998, genehmigte Papst Johannes Paul II. den neuen Ritus für den Großen Exorzismus. Seitdem hat es einige offizielle Exorzismen hierzulande gegeben - nur mit dem Plazet des jeweiligen Bischofs sind sie erlaubt. Diese Regel aber wird immer mehr unterlaufen.
Darüber wollen selbst die Profis am liebsten nur schweigen. Pfarrer Martin Ramoser aus Reisbach in Niederbayern etwa. "Ich bin auch ein Pseudo-Experte", wimmelt er jedes Gespräch ab. Dabei ist der Geistliche ganz offiziell der Vertreter der deutschen Sprachgruppe innerhalb der "Internationalen Exorzistenvereinigung". Aber bei diesem Thema, betont er am Telefon, sei er "nicht kompetent": "Ich weiß ja selber nichts." Er sei eigentlich auch kein Exorzist: "Ich sitze ja in der Pfarrei fest." Mit einem "Pfüit Ihna" legt er auf.
Die Zurückhaltung des Geistlichen aus dem Geburtsort von CSU-Chef Erwin Huber ist typisch. Das hat viel mit dem "Fall Klingenberg" zu tun: In Klingenberg am Main starb 1976 die 23-jährige Studentin Anneliese Michel nach 67 exorzistischen Sitzungen. Der Große Exorzismus, so schien es, war seitdem hierzulande tabu.
Im Frühsommer aber räumte das Erzbistum Paderborn ein: In den vergangenen acht Jahren gab es zumindest in dieser Diözese drei Fälle von offiziellen Großen Exorzismen, zuletzt 2003. Der Sekretär der Bischofskonferenz, Hans Langendörfer, sagte, es scheine so zu sein, "dass in einigen der Bistümer Personen mit der Vollmacht, einen Exorzismus vorzunehmen, ausgestattet sind". Doch keines der 27 deutschen Bistümer hat bisher erklärt, einen solchen Priester angestellt zu haben.
Dabei hat der jetzige Papst die Bischöfe der Welt dazu aufgefordert, offiziell Exorzisten zu bestallen. Im September 2005 ermutigte Benedikt XVI. zudem Italiens Exorzisten öffentlich, ihren Dienst weiterhin unter der "wachsamen Aufmerksamkeit ihrer Bischöfe" auszuüben.
Weltweit gibt es hunderte Exorzisten, allein in Italien sprechen seriöse Quellen von 300, die offiziell von den Bischöfen bestellt sind. Im Großraum Paris werden nach Angaben des Exorzisten des dortigen Erzbistums jährlich etwa 1.500 Exorzismen durchgeführt.
Und in Deutschland? Klar ist: In vorauseilendem Gehorsam ernannte 1997 der damalige Eichstätter Bischof Walter Mixa, berühmt wegen seiner Fehde mit Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), den Geistlichen Otto Maurer aus Kösching bei Ingolstadt zum Exorzisten. Laut der Diözese Eichstätt hat er offiziell aber nie einen Großen Exorzismus abgehalten und wurde 2005 von seiner Aufgabe als Exorzist entbunden. Er soll nach den Recherchen des WDR vor einigen Monaten dennoch einen Exorzismus an einer 22-jährigen Frau, einer Heike H. aus Süddeutschland, gebetet haben.
Stimmt das? Zu sprechen ist nur eine Mitarbeiterin des Geistlichen. Er habe, betont sie, "keinen Großen Exorzismus gemacht". Denn "er hatte dafür keine Befugnis".
Maurer habe mit Heike H. nur kurz "kleine Befreiungsgebete" gebetet, die "jeder Priester" beten könne. In einem Leserbrief an die Frankfurter Rundschau bestätigt eine "Heike H." diese Version: "Herr Pfarrer Otto Maurer hat bei mir keinen Großen Exorzismus gebetet." Auch Pfarrer Ernst Alt, der schon 1976 in Klingenberg "wirkte", habe bei ihr "nur einmal einen kleinen Exorzismus gebetet".
Hier ist eine Erklärung nötig: Schon immer treibt die katholische Kirche, so sieht sie es, Teufel und Dämonen aus. Sie beruft sich auf eine Aufforderung Jesu: "Treibt Dämonen aus!" (Matthäus 10, 8). In gewisser Weise steckt in jedem Vaterunser ("Und erlöse uns von dem Bösen") eine kleine Teufelsaustreibung. Die katholische Kirche aber unterscheidet zwischen einem "kleinen Exorzismus", der etwa bei jeder Taufe gebetet wird, und dem seit 1614 liturgisch fest gefassten "Großen Exorzismus". Dieser Große Exorzismus ist die Gruselkiste: Er dauert etwa zwei Stunden und besteht vor allem aus vielen Gebeten. Psychisch besonders brutal kann er werden, weil der Exorzist hier "je nach den Umständen" den "Satan" direkt ansprechen kann: Beispiel: "Ich beschwöre dich, maledeiter Drache, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, von diesem Geschöpf Gottes abzulassen und zu fliehen."
Solche "imprekativen Formeln" sind Teufelszeug. Sie können bei manchen das Gefühl verstärken oder gar erst wecken, besessen zu sein. Und genau genommen gibt es diese Formeln gar nicht. Denn für die neue Exorzismus-Liturgie fehlt, obwohl Johannes Paul II. damals zu einer Übersetzung in die Landessprache aufforderte, immer noch ein offizieller deutscher Text. Die deutschen Bischöfe ließen das lateinische Original, wohl angesichts des "Falles Klingenberg", bisher unübersetzt.
Dennoch, die Kirche spendet weiter den Großen Exorzismus, als Ultima Ratio und unter bestimmten Bedingungen: So darf er etwa nur gebetet werden, wenn die psychisch leidende Person zuvor von einem Mediziner und einem Psychiater untersucht wurde - und nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Ortsbischofs. Glaubt man den Pressestellen hiesiger Diözesen, hat in den vergangenen Jahren kein Bischof ein solches Plazet gegeben - aber die Anfragen der Gläubigen danach nehmen zu. Das Erzbistum Köln hat deshalb seit Anfang des Jahres einen "Arbeitskreis Exorzismus" eingesetzt, zu dem 15 Personen gehören: Priester, Theologen, Familienberater, ein Psychiater und eine Ärztin.
Der Theologe Markus Roentgen, angestellt beim Bistum, leitet den Kreis. Er sagt, pro Jahr höre er von etwa 50 Menschen, die glaubten, sie seien besessen. Vor etwa sieben Jahren seien es jährlich nur rund 10 gewesen. Etwa 80 Prozent seien Frauen. Häufig über 40, stammten sie in drei Viertel der Fälle einst aus Osteuropa. "Zu 99 Prozent" plagten sie "innerpsychische Vorgänge". Meist werde es "nicht gern gehört", wenn er andeute, ihre Not könnte auch andere Gründe als angebliche Besessenheit haben. Es gebe "ein irres Bedürfnis nach Irrationalität", sagt Roentgen - oft nach dem Motto: "Je abstruser, desto spannender."
Roentgens Arbeitskreiskollege, Pfarrer Rainer Nieswandt, erzählt, die Anfragen nach Exorzismen seien "in den letzten zwei, drei Jahren sprunghaft angestiegen". Das liege am Zulauf zu Kirchenkreisen, "für die der Satan überall steckt". Und der Papst gibt solchen Gruppen - siehe etwa seine Förderung der alten Messe - noch Zucker.
Die globalisierte Welt, so Nieswandt, verunsichere viele und spüle Menschen nach Deutschland, die einen Exorzismus als etwas einigermaßen Normales ansähen. Deren Betreuung werde "zunehmend zu einem Feld frei schaffender Künstler", sagt Nieswandt sarkastisch. Priester böten unautorisierte Exorzismen an, weil er von den Betroffenen, oft früher sexuell missbrauchten Frauen, so dringend angefragt werde. Da sei er für die "strikte Einhaltung der Disziplin" gegenüber solchen Geistlichen: "Hier geht es um Menschenleben!" Eine Kirchenmitarbeiterin, die ungenannt bleiben möchte, bringt es so auf den Punkt: Sehr oft seien die Anfragenden "austherapierte, psychisch kranke Menschen", die "lieber besessen sein wollen als verrückt".
Finden also derzeit unautorisierte Große Exorzismen in Deutschland statt? "Ja klar!", meint Roentgen. Und Nieswandt glaubt: "Über kurz oder lang" würden in deutschen Bistümern wohl wieder Exorzisten offiziell bestallt. Im Mai erklärte der Theologe Martin Birkenhauer von der "Charismatischen Erneuerung in der katholischen Kirche" auf dem Katholikentag in Osnabrück zum Exorzismus: "Die Erfahrungen zeigen: Es wirkt!"
Dieser schwärmerischen Gruppe steht auch das "Haus St. Ulrich" in Hochaltingen nahe. Hier hat die deutsche Sektion der "Internationalen Vereinigung für den Befreiungsdienst" (IAD) ihren Sitz - ihr Sekretär: der abwiegelnde Pfarrer Ramoser. Der Große Exorzismus ist für manche Theologen nichts weiter als ein "Befreiungsdienst". Der deutschen IAD-Sektion gehörten 2002 über 80 Priester an. Im "Haus St. Ulrich" fanden im Februar "Einführungstage in den Heilungs- und Befreiungsdienst" statt. Der Leiter des Hauses ist dazu nicht zu sprechen.
Immerhin, im Juni widersprach ein Kaplan aus Hannover in einer Kirchenzeitung brieflich einem Kirchenexperten, der den Sinn von Exorzismen hierzulande bezweifelt hatte: "Da mein geistlicher Begleiter ein Exorzist ist", schrieb der Kaplan, wolle er den Experten gern "zur Teilnahme an einem Exorzismus" einladen. Auf Anfrage bekräftigt der Geistliche: Ja, sein "geistlicher Begleiter" bete Große Exorzismen. Aber der Mann sei Pole. Und Teufelsaustreibungen bete er nur in Polen. Die Mauer des Schweigens hält in Deutschland.
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