Ex-Innenminister Baum über Koalitionen: "Sind Grüne etwa keine Bürger?"
Die FDP will in Hessen nur mit der CDU koalieren. Der liberale Ex-Innenminister Gerhart Baum rät seiner Partei zu mehr Flexibilität bei der Partnerwahl.
taz: Herr Baum, die FDP will in Hessen mit keiner Partei außer der CDU koalieren. Gefällt Ihnen diese Standhaftigkeit?
Gerhart Baum: Nein. Es ist wichtig, dass meine Partei aus der Landtagswahl in Hessen die Lehre zieht, sich den eigenen Spielraum künftig nicht mehr derart einzuengen. Ich verstehe auch nicht, dass man einen Alleinvertretungsanspruch auf das sogenannte bürgerliche Lager erhebt. Diese Abgrenzung erhält langsam Ausgrenzungscharakter. Sind Sozialdemokraten oder Grüne etwa keine Bürger?
Aber woher kommt der ideologische Starrsinn in Ihrer Partei?
Ich würde hier nicht von ideologischem Starrsinn reden. Das Lagerdenken erlebt eine neue Blüte. Auch SPD und Grüne in Hessen haben mögliche Koalitionen ausgeschlossen.
Also künftig keine Koalitionsaussagen mehr?
Ich habe nichts gegen Koalitionsaussagen, aber etwas gegen Negativfestlegungen, die keinen Bewegungsspielraum mehr lassen. Eine Partei muss auf ein Wahlergebnis reagieren können. Sonst läuft es künftig darauf hinaus, dass aus ähnlichen Situationen automatisch große Koalitionen entstehen. Dadurch wird die Wahlbeteiligung weiter absinken. Sollte es 2009 im Bundestag wieder zu einer großen Koalition kommen, dann wird die Einführung eines reinen Mehrheitswahlrechts wieder Thema. Für alle kleinen Parteien wäre dies das Ende. Die Großen hätten sich lästiger Konkurrenz entledigt.
Warum regt sich in der FDP kaum Widerstand gegen den derzeitigen Kurs?
Natürlich regt der sich. Johannes Vogel, der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, hat zum Beispiel gefordert, im Fünfparteiensystem das Lagerdenken zu überwinden. Ich kann ihm nur zustimmen.
Hat die starre Haltung etwas mit der Person Guido Westerwelle zu tun? Ihr Parteivorsitzender hat vor der letzten Bundestagswahl damit begonnen, die FDP auf einen Nur-CDU-Kurs einzuschwören.
Das hat schon vorher angefangen - und hat auch mit Positionen der SPD zu tun, die schwer mit liberalen Zielen vereinbar sind. Allerdings trennt uns auch von der CDU eine Menge, wie zum Beispiel die Bürgerrechtspolitik. Das politische Klima hat sich gewandelt. Die Kompromissfähigkeit der demokratischen Parteien ist gesunken. Dabei haben sie viel mehr gemeinsam, als sie derzeit zugeben. Sie sind Gegner, nicht Feinde.
Hat die FDP berechtigterweise Angst vor ihrem alten Image als Umfallerpartei?
Umfallen können nur Apodiktiker, die sich vor einer Wahl unwiderruflich festlegen. Was der Wählerwille ist, zeigt sich erst nach der Wahl. Und dann muss man darauf reagieren können. Es ist töricht, wenn Parteien versuchen, dem Wähler ihren Willen aufzuzwingen. Der Wähler hat sich in Hessen und bei der letzten Bundestagswahl sowohl gegen Schwarz-Gelb als auch gegen Rot-Grün entschieden.
Können sich die Liberalen nicht mit anderen Partnern zusammentun, weil sie sich auf einen rechtsliberalen Kurs und das Thema Wirtschaftspolitik festgelegt haben?
Die FDP sollte intensiver als bisher das Spektrum der politischen Themen erweitern, beispielsweise mit Bildungs- und Außenpolitik. Sie sollte ihre Positionen in Fragen der sozialen Gerechtigkeit deutlich definieren und sich dabei vom Geist der Freiburger Thesen von 1971 inspirieren lassen, die auch Verteilungsgerechtigkeit zum Ziel hatten. Dann gäbe es mehr Berührungspunkte mit den anderen Parteien. Es war doch bei der sozialliberalen Koalition im Bund damals nicht so, dass wir mit der SPD wirtschaftspolitisch so viel gemein gehabt hätten. Aber auf anderen Feldern war das der Fall, deshalb konnten wir miteinander regieren.
Wenn Sie Parteichef in Hessen wären, würden Sie also eine Ampelkoalition eingehen?
Ich hätte mich dort gar nicht erst auf eine derart feste Koalitionsaussage eingelassen. So wie es jetzt aussieht, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich die FDP bewegen kann. Sie könnte es nicht, ohne in einem hohen Maße Glaubwürdigkeit zu verlieren.In eine solche Zwickmühle hätte ich mich gar nicht erst begeben.
INTERVIEW: DANIEL SCHULZ
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